17. Juni '53–Minutenprotokoll: Erregter Mob lyncht Stasi-Spitzel Willi Hagedorn
Am 17. Juni 1953 beginnt der Berliner Rias seine Nachrichtensendung mit der Aufforderung an die "Arbeiter aller Industriezweige Ost-Berlins", sich "um 7.00 Uhr am Strausberger Platz zu einer gemeinsamen Demonstration" zu versammeln. Diese Spitzenmeldung wird in den kommenden Nachrichten stündlich wiederholt. Gegen 16 Uhr liegen Dutzende Schwerverletzte in Krankenhäusern. Mehrere Menschen wurden bei Zusammenstößen mit der DDR-Volkspolizei und Soldaten der Roten Armee getötet.
Der Volksaufstand, der um den 17. Juni 1953 die DDR erschütterte, stellte klar, dass das SED-Regime nur mit sowjetischer Unterstützung überlebensfähig war. Umgehend wurde der Repressionsapparat ausgebaut, zugleich votierten immer mehr Menschen mit ihrer Ausreise gegen den Arbeiter- und Bauernstaat.
Aus Berichten der Volkspolizei, der DDR-Staatssicherheit, der SED, des Rias, der West-Berliner Polizei sowie der "Berliner Morgenpost", des "Tagesspiegel" und aus Memoirenliteratur entsteht das Protokoll eines Tages, der nicht nur in Ost-Berlin historische Dimensionen annahm.
Im VEB Wälzlager hat die Nachtschicht die Arbeit niedergelegt. Bereits am Tag zuvor war es an zwei Ost-Berliner Großbaustellen – in der Stalinallee und im Krankenhaus Friedrichshain – zu Arbeitsniederlegungen und anschließenden Protesten gekommen. Obwohl das Politbüro die heftig umstrittene Normenerhöhung (die für Lohn zu erbringende Arbeitsleistung) zurücknahm, wurden Rufe nach Rücktritt der Regierung und freien Wahlen laut. In Sprechchören kündigten Demonstranten für den 17. Juni einen Generalstreik an.
Im Haus von Bert Brecht sitzen einige enge Vertraute mit dem Dichter zusammen. Der Vorzeige-Intellektuelle der DDR begrüßt zu ihrer Überraschung den Streik in Ost-Berlin als "endliches Handeln der Arbeiter", ist aber mit dem Verlauf unzufrieden, weil sie keine Räte und Komitees gegründet haben. Brecht fordert im privaten Kreis, "die Streikenden zu bewaffnen".
Das Präsidium der Volkspolizei ordnet an, dass die Leiter aller Inspektionen um 6 Uhr anwesend sein sollen. Eine Stunde später hat volle Alarmstufe zu gelten.
Während im Kanzleramt immer neue, beunruhigende Nachrichten aus Ost-Berlin eintreffen, ist Bundeskanzler Konrad Adenauer mit einem ganz anderen politischen Vorgang beschäftigt: Er scheitert mit dem Versuch, das seit 1949 geltende Verhältnis- durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen. Sein Koalitionspartner FDP, die oppositionelle SPD und sogar Teile der CDU sind strikt dagegen. Adenauer droht indirekt mit Rücktritt, kann sich aber nicht durchsetzen.
In einer turbulenten nächtlichen Sitzung hat das Politbüro der SED über den Umgang mit den Demonstranten beraten. Generalsekretär Walter Ulbricht, dessen ungeschicktem Agieren die meisten übrigen Spitzenfunktionäre die Schuld für die Eskalation geben, wird heftig kritisiert. FDJ-Chef Erich Honecker hält fest: "Alle fallen über Walter her. Er wird wohl unterliegen."
Im sowjetischen Hauptquartier in der DDR treffen sich Ulbricht, Ministerpräsident Otto Grotewohl und Stasi-Chef Wilhelm Zaisser mit dem sowjetischen Hochkommissar Wladimir Semjonow und dem Befehlshaber der Roten Armee in der DDR, Andrei Gretschko. Gemeinsam machen sie Pläne für ein militärisches Eingreifen in Ost-Berlin.
Die Bezirksleitung der SED bekommt telefonisch eine Warnung aus Ost-Berlin. Es sei damit zu rechnen, "dass im Laufe der Nacht oder den frühen Morgenstunden bestimmte Kräfte aus Berlin in den Betrieben versuchen werden, Unruhe zu stiften".
Die örtliche Volkspolizei richtet einen Krisenstab ein, um den erwartbaren Protesten entgegentreten zu können.
In allen sowjetischen Garnisonen um die Viermächte-Stadt werden die Soldaten vor Morgengrauen geweckt und machen ihre Fahrzeuge bereit.
Der Ingenieur Siegfried Berger wacht in seinem Haus auf, weil eine größere Zahl sowjetischer Panzer und Spähwagen unter dem Fenster seines Schlafzimmers vorbeirattert. Ihre Peitschenantennen schlagen gegen die Oberleitungen der Straßenbahn und erzeugen einen Funkenregen. Berger ist Abteilungsleiter Entwicklung im Funkwerk Köpenick.
Der junge Schriftsteller Erich Loest wartet am Hauptbahnhof auf seinen Zug nach Berlin. Er soll als Vertreter des Leipziger Chefs des Schriftstellerverbandes an einer Sitzung in Ost-Berlin teilnehmen. Die SED-Parteizeitung "Neues Deutschland" ist noch nicht ausgeliefert. Loest, SED-Mitglied und überzeugter Kommunist, wundert sich über Rangeleien und Grüppchen, die diskutierend im Bahnhof herumstehen.
Die Frühschicht des VEB "Fortschritt" marschiert zu einem Zweigwerk, um die Kollegen dort zum Streik aufzufordern.
West-Berlins DGB-Chef Ernst Scharnowski, ein überzeugter Antikommunist, ruft über den Rias die Ost-Berliner Arbeiter auf, weiterzustreiken: "Ihr könnt Eure Forderungen, gestützt auf die in der sowjetischen Besatzungszone geltenden Grundrechte der Verfassung, mit vollem Recht verlangen. Eure Regierung hat selber diese Grundrechte beschlossen und damit auch für euch die Freiheit zum Kampf für bessere Arbeitsverhältnisse gestartet." Treffpunkt für die Demonstranten soll um 7 Uhr morgens der Strausberger Platz sein.
Vor dem VEB Wälzlager stehen etwa 150 protestierende Arbeiter. Die Nachtschicht verlässt trotz Aufforderung durch die Betriebsleitung ihre Arbeitsplätze nicht, tut aber sonst nichts.
US-Präsident Dwight D. Eisenhower geht zu Bett. Er ist informiert über "Unruhen in Berlin", hat sich aber damit nicht weiter beschäftigt. Viel wichtiger ist dem früheren Fünfsterne-General die international hochumstrittene Todesstrafe für die beiden sowjetischen Atomspione Julius und Ethel Rosenberg, die am 19. Juni vollstreckt werden soll.
In zahlreichen Betrieben weigern sich die Frühschichten, die Arbeit aufzunehmen. Im VEB Ifa-Getriebewerk formiert sich ein Protestzug, der Losungen wie "Nieder mit der Volkspolizei" oder "Wir fordern ein besseres Leben!" skandiert.
Etwa 10.000 Arbeiter aus der Nacht- und der Frühschicht des VEB Stahl- und Walzwerk versammeln sich in ihrer Fabrik. Sie wollen in die Ost-Berliner Innenstadt marschieren und gegen die DDR-Regierung demonstrieren.
Die Belegschaft des Bremsenwerkes Berlin hat die Arbeit ausnahmslos niedergelegt.
Die Frühschicht beim VEB Carl Zeiss legt die Arbeit nieder. Die Beschäftigten beschließen, zum Zweigwerk VEB Schott zu ziehen und die Kollegen dort ebenfalls für einen Ausstand zu gewinnen.
Etwa tausend Demonstranten sind über die Stalinallee auf dem Weg zum Strausberger Platz, meldet die Volkspolizei. Aus anderen Richtungen kommen weitere Ost-Berliner, insgesamt mehrere tausend. Es schüttet in Strömen.
Auf dem Marktplatz der Kreisstadt haben sich rund 250 Landwirte versammelt, um gegen die Zwangskollektivierung zu protestieren. Sie ziehen vor das Gebäude der Kreisverwaltung und fordern die Freilassung aller gefangenen Bauern.
Auf dem Strausberger Platz haben sich mehr als 3000 Arbeiter versammelt. Die Volkpolizei versucht mit mehreren hundert Mann, weitere ständig nachströmende Demonstranten abzudrängen, was misslingt.
Aus dem Funkhaus Nalepastraße verbreitet das DDR-Politprogramm "Radio Berlin I" Ungewohntes: "Es muss endgültig und radikal Schluss gemacht werden mit jeglicher Methode des Administrierens in der Normenfrage. Die Forderungen der Bauarbeiter nach Verbesserung der Arbeitsorganisation, nach Überprüfung tatsächlich falsch berechneter Normen müssen unbedingt beachtet werden." Das scheinbare Verständnis für die Forderungen der Arbeiter bleibt eine einmalige Ausnahme. Kurz darauf sind nur noch leichte Melodien zu hören.
In fast allen Großbetrieben im sowjetischen Sektor der Stadt befindet sich die Frühschicht im Streik. Vielfach bilden sich spontan Demonstrationszüge in die Innenstadt, in anderen Fabriken werden Arbeiterversammlungen angesetzt.
Im Kreml trifft ein aktueller Bericht von Semjonow und Gretschko ein. Sie betonen, dass bereits 450 Rotarmisten an Brennpunkten des sowjetischen Sektors im Einsatz seien. Allerdings sollen "die sowjetischen Truppen eine aktive Rolle bei der Sicherung der Ordnung nur im äußersten Notfall übernehmen".
Am Molkenmarkt hinter dem Roten Rathaus kommt es zu Rangeleien zwischen DDR-Uniformierten und Demonstranten. Zum ersten Mal an diesem Tag gibt es das Kommando zum Knüppeleinsatz. Es kommt zu ersten Befehlsverweigerungen von Uniformierten, die nicht gegen Arbeiter vorgehen wollen.
In dem riesigen Chemiewerk der Stadt in Sachsen-Anhalt legen rund 20.000 Beschäftigte die Arbeit nieder und streben Richtung Zentralverwaltung. Sie fordern in Sprechchören "Rücktritt der Regierung!" und "Freie Wahlen!".
Bert Brecht fährt mit seinen Vertrauten Richtung Innenstadt, zur Probebühne des Berliner Ensembles. Auf der Fahrt hört der Schriftsteller, dass auf allen DDR-Sendern nur Operettenmusik läuft, und bekommt einen Wutanfall.
Im Elektromaschinen-Konzern VEB Sachsenwerk wendet sich der SED-Sekretär per Betriebsfunk an die Belegschaft. Er räumt ein, es habe "Überspitzungen" in der Politik der Regierung gegeben, die aber zurückgenommen würden. Gleichzeitig lehnte er jedes weitere Zugeständnis vehement ab. Die kurze Ansprache konsterniert die Belegschaft, die nun die Arbeit niederlegt und vor das Verwaltungsgebäude zieht.
Mehrere tausend Demonstranten ziehen durch die Stadt. Alle Großbaustellen haben sich angeschlossen. Die Straßenbahnen fahren nicht mehr, auf dem Ring um die Innenstadt stockt der Verkehr.
Die Grenzpolizei der DDR schließt alle Kontrollpunkte zwischen Ost- und West-Berlin. Weil die Demarkationslinie zwischen dem sowjetischen und den drei westlichen Sektoren aber nur an der Grenze zu Brandenburg mit Zäunen und Stacheldraht befestigt ist, lässt sich diese Sperre nicht durchsetzen. Die West-Berliner U-Bahnen fahren noch unter Ost-Berlin hindurch, die grenzüberschreitenden S-Bahnen stellen nach und nach den Betrieb ein.
Die Belegschaft des Funkwerkes trifft sich unter Leitung des Entwicklungsingenieurs Siegfried Berger zu einer Betriebsversammlung. Sie beschließen drei Forderungen: Rücktritt der Regierung, freie und geheime Wahlen sowie die sofortige Wiedervereinigung Deutschlands. Es ist der erste am 17. Juni verabschiedete Katalog konkreter Forderungen.
Mehrere hundert Arbeiter des VEB Lokomotiven- und Waggonbau Ammendorf ziehen zum Verwaltungsgebäude und fordern die Werksleitung zum Gespräch. Kein Vertreter der SED erscheint.
Überall in der Ost-Berliner Innenstadt sind Panzerspähwagen der Roten Armee aufgefahren. Die sowjetische Botschaft Unter den Linden wird von Soldaten bewacht; in einer benachbarten Ruine haben sich Rotarmisten mit Maschinengewehren verschanzt. Vor den Gebäuden der DDR-Regierung und der SED stehen Volkspolizisten, in der Nähe Lastwagen mit "Freunden", also sowjetischen Soldaten. Am Brandenburger Tor sind mehrere Abteilungen der paramilitärischen Kasernierten Volkspolizei stationiert.
Gerüchte verbreiten sich. Am Strausberger Platz sollen Russen bereits auf Demonstranten geschossen haben, heißt es. In Wirklichkeit gibt es bisher nur Rangeleien, Schießbefehl haben die Rotarmisten noch nicht.
Bert Brecht, inzwischen in seinem Büro angekommen, befiehlt "mit der Attitüde eines Generalstäblers" zwei Mitarbeitern, im Theater-eigenen Wagen zum DDR-Funkhaus in der Nalepastraße zu fahren und der "Idiotie ein Ende zu setzen". Damit meint Brecht die Operettenmelodien, die ständig gesendet werden.
Unter dem Jubel von Tausenden West-Berlinern ziehen die Stahlarbeiter aus Hennigsdorf durch die Straßen im französischen Sektor in Richtung Ost-Berliner Innenstadt. Sie skandieren Parolen wie "Freie Wahlen!" und "Nieder mit der Regierung!", singen außerdem "Einigkeit und Recht und Freiheit" sowie die "Internationale".
Hunderte Chemiearbeiter versammeln sich vor der Betriebsleitung und fordern die Freilassung von vier Kollegen, die am Vortrag als "Rädelsführer" festgenommen worden waren. Die zuständigen SED-Funktionäre werden niedergeschrien, als sie die vom Politbüro vorgegebenen Parolen verkünden wollen. Der Elektromonteur Paul Othma formuliert die Forderungen der Streikenden: "Abschaffung der Normen, Senkung der Lebensmittelpreise, Entfernung aller SED-Funktionäre" – und natürlich Rücktritt der DDR-Regierung, freie Wahlen und Wiedervereinigung.
Nahezu die gesamte Belegschaft der Kombinats "Ernst Thälmann" schließt sich einem Demonstrationszug in die Innenstadt an. Die Streikenden skandieren: "Magdeburger, folgt den Berlinern!"
Das Haus der Ministerien in der Wilhelmstraße wird von Kasernierter Volkspolizei abgeriegelt. Zehntausende Menschen ziehen gegen das Regime protestierend weiter. In Sprechchören fordern sie freie Wahlen.
Vor dem Kreisgericht, zu dem auch das örtliche Untersuchungsgefängnis gehört, haben sich Tausende Demonstranten versammelt. Sie verlangen die Freilassung der politischen Gefangenen. Einige Volkspolizisten, die das Gebäude schützen wollen, legen ihre Uniformen ab und wechseln die Seiten.
Demonstranten, ein Zug von etwa tausend Leuten, zieht durch das Brandenburger Tor. Die DDR-Grenzpolizisten haben sich vor der vielfachen Übermacht zurückgezogen. Jetzt streben die Streikenden zum Potsdamer Platz.
Vom Werksgelände der Waggonfabrik Ammendorf machen sich rund 3000 Arbeiter auf, in die Innenstadt zu marschieren. Auf ihrem fast zehn Kilometer langen Weg schließen sich ihnen immer mehr Passanten an. Alle SED-Propagandaplakate entlang der Strecke werden heruntergerissen.
Vor dem örtlichen Polizeigefängnis stehen Hunderte Menschen und verlangen, politische Häftlinge freizugeben. Das Personal lässt drei Gefangene frei; daraufhin zerstreut sich die Menge.
Vom Bahnhof der niederschlesischen Stadt marschieren mehr als tausend Demonstranten Richtung Innenstadt. Auch sie fordern freie Wahlen, die Wiedervereinigung – und: "Keine Oder-Neiße-Grenze!"
Überall an der Sektorengrenze reißen Demonstranten Propagandaschilder der SED aus ihren Verankerungen, schichten sie zu Scheiterhaufen und stecken sie an. Das nass-schwüle Wetter verhindert aber größere Brände unter freiem Himmel.
Mehr als 60.000 Menschen haben sich auf dem Potsdamer und Leipziger Platz versammelt, um gegen die SED und ihre Politik zu demonstrieren.
Vor dem Frauengefängnis am Postplatz bleiben etwa 2500 Demonstranten stehen und fordern die Freilassung politischer Gefangener. Gemeint sind damit all jene, die wegen angeblicher Verstöße etwa gegen Bewirtschaftungs- oder Steuerregeln festgenommen worden sind. Die DDR-Behörden nutzen diese Methoden, um Kritiker des Sozialismus einzuschüchtern. Wie viele der 364 Frauen im Gefängnis dazu gehören, ist unklar.
Das Wachregiment A beim Ministerium für Staatssicherheit ist am Haus der Ministerien eingetroffen, um die überforderte Kasernierte Volkspolizei zu verstärken. Die Gewalt eskaliert; durch Knüppel und ähnliche Waffen werden mehr als 40 DDR-Uniformierte verletzt. Wie viele Demonstranten verwundet werden, ist unklar.
Bundeskanzler Konrad Adenauer empfängt den FDP-Abgeordneten Konrad Frühwald. Thema des Gespräches ist die geplante Wahlrechtsreform.
Die Rote Armee macht Ernst: Erste sowjetische Panzer rollen über die Leipziger Straße Richtung Sektorengrenze. Aus Verzweiflung setzen Demonstranten daraufhin ein Kontrollhäuschen der Volkspolizei in Brand. Noch fallen keine Schüsse.
Eine Delegation der Demonstranten ist ins Gefängnis eingelassen worden. Ein anwesender Staatsanwalt legt Haftakten vor; die Protestierer verlangen die Freilassung von 42 Untersuchungshäftlingen, was auch erfolgt. Als der SED-Jurist vor das Gefängnis geführt wird, schlagen Demonstranten ihn nieder.
Die Bauarbeiter der Großbaustelle Windmühlenstraße schließen sich einem Demonstrationszug in die Innenstadt an. Auf Transparenten fordern sie "Nieder mit der Normenschinderei" und erklären sich solidarisch mit den Berlinern.
Die Volkspolizei hat die Tore des VEB Armaturenwerks "Karl Marx" verrammelt, um die Beschäftigten der Frühschicht am Demonstrieren zu hindern. Arbeiter anderer Betriebe brechen die verschlossenen Tore auf und befreien ihre Kollegen.
Rund 1000 Demonstranten stürmen die SED-Kreisleitung und demolieren die Einrichtung. Akten werden aus den Fenstern geworfen.
Der Rias strahlt Augenzeugenberichte von Demonstranten aus. Einer teilt über die Auseinandersetzungen vor dem Haus der Ministerien mit: "Verschiedene Volkspolizisten zögerten, als das Kommando kam ,Knüppel frei' zuzuschlagen. Sie haben einmal die Knüppel hochgehoben, um eben das Kommando auszuführen. Daraufhin hielt sich zurück." Selbstkritisch merkt der Demonstrant an: "Letzten Endes aber waren die Massen derartig erbost, dass sie zuschlugen, und daraufhin werden wohl die Polizisten auch wieder zugeschlagen haben. Was allerdings nicht zu entschuldigen ist, dass überhaupt der Knüppel freigemacht wurde."
Die streikenden Arbeiter aus dem Waggonwerk schicken Voraustrupps in die Fabriken der Stadt, um die Arbeiter dort zu überzeugen, mit ihnen zu demonstrieren. Die meisten kommen der Aufforderung nach.
Die beiden Abgesandten von Bert Brecht sind im DDR-Funkhaus eingetroffen. Sie übermitteln ein klares Angebot: Die Radiofunktionäre sollten Brecht, Helene Weigel, Ernst Busch und dem Berliner Ensemble die Mikrofone überlassen. Sie wollen "mit Liedern, Gedichten und Aufrufen den Missbrauch der Streiks verhindern und mit den Streikenden ins Gespräch kommen". Die SED-Journalisten reagieren mit schallendem Gelächter und sagen, Brecht habe mal wieder die typischen Bauschmerzen des Intellektuellen, es gebe keine außergewöhnliche Situation. Das sollen die beiden Abgesandten dem Schriftsteller ausrichten.
Im Palais Schaumburg bespricht sich Konrad Adenauer mit mehreren Verfechtern des geplanten Mehrheitswahlrechts aus der CDU.
Der SED-Chef von Halle schickt den Demonstranten "Agitatoren" entgegen, zuverlässige Parteigenossen, die den Zug aufhalten sollen, indem sie die Anführer in Diskussionen verwickeln. Angesichts der Stimmung verzichten die SED-Mitglieder darauf, ihren Auftrag auszuführen.
Vor dem Frauengefängnis Barnimstraße haben sich rund 600 Demonstranten versammelt. Sie fordern die Entlassung der politischen Gefangenen und die Inhaftierung der Generalstaatsanwältin Hilde Benjamin, der brutal harten SED-Funktionärin.
Der Volkspolizeichef schlägt vor, vor dem Stadtzentrum in den Protestzug hineinschießen zu lassen und die Demonstranten so auseinander zu treiben. Der sowjetische Ortskommandant untersagt das – er hat keinen Schießbefehl bekommen.
Rund 2000 Demonstranten stürmen das Gerichtsgefängnis, verwüsten die Büros und befreien einige weitere Häftlinge.
Im Reichsbahnwerk heult die Firmensirene. Das ist das Signal für die Frühschicht, die Arbeit niederzulegen und sich zum Demonstrationszug Richtung Innenstadt zu formieren.
Ein wolkenbruchartiger Regen treibt die Demonstranten auf dem Potsdamer Platz kurzzeitig auseinander. Einige hundert dringen in die Volkspolizei-Wache im Columbushaus ein. Sie finden zahlreiche Waffen, die sie unbrauchbar machen.
In der Stadt mit rund 50.000 Menschen haben sich zwischen 60.000 und 80.000 Demonstranten versammelt. SED, Volkspolizei und Stasi ziehen sich unauffällig zurück.
Das Gebäude der FDJ und die Redaktion der SED-Zeitung "Volksstimme" werden gestürmt und verwüstet.
Der gesamte Verkehr der S-Bahn ist eingestellt. Auch die West-Berliner U-Bahnen fahren nicht mehr unter Ost-Berlin hindurch, sondern halten an den letzten Stationen auf West-Berliner Gebiet und pendeln zurück. Der Wechsel zwischen dem freien Teil der Stadt und dem sowjetischen Sektor ist zu Fuß entlang der Demarkationslinie relativ problemlos möglich. Einige Demonstranten übergeben einen Tresor aus der VP-Wache im Columbushaus verschlossen der West-Berliner Polizei.
Die sowjetische 1. Mechanisierte Division verlässt ihre Kaserne mit rund 80 Kampfpanzern, zahlreichen Panzerspähwagen und weiteren Lastwagen. Das Ziel heißt Berlin-Mitte, aber die Division muss um West-Berlin herumfahren. Durch die drei westlichen Sektoren dürfen Fahrzeuge der Roten Armee nicht rollen.
Mehr als 50.000 Menschen haben sich in der 32.000-Einwohner-Stadt versammelt. Per Akklamation wird ein Streikkomitee bestätigt. Der Elektromonteur Paul Othma, Wortführer des Ausstandes, mahnt zur Besonnenheit. Der Lehrer Wilhelm Fiebelkorn verliest ein Telegramm an die DDR-Regierung. Es beginnt: "Im Auftrage der Bevölkerung von Stadt und Kreis Bitterfeld teilen wir Ihnen mit, dass Sie für abgesetzt erklärt worden sind."
Auf dem Pariser Platz fahren sowjetische Panzerspähwagen auf. Daraufhin erklettern drei junge Männer, Ralph Schoenhofer, Horst Ballentin und Wolfgang Panzer, das Brandenburger Tor und schneiden die rote Fahne ab, die dort anstelle der Quadriga weht. Das Tuch wird heruntergeworfen und von Demonstranten verbrannt. Es fallen Schüsse – zum ersten Mal in Ost-Berlin an diesem Tag. Noch handelt es sich um Warnschüsse.
Mehrere Demonstrationszüge marschieren durch die Innenstadt. Sie sind im Gewirr der Straßen und Ruinen flexibler als die Volkspolizei und spielen "Katz und Maus" mit den DDR-Uniformierten.
Ein neuer Lagebricht von Semjonow und Gretschko alarmiert die sowjetische Führung. Die DDR-Polizei habe die Lage nicht mehr im Griff. "In West-Berlin ist eine Solidaritätsdemonstration angekündigt. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Demonstranten von West- nach Ost-Berlin eindringen."
Vor dem Polizeipräsidium, zu dem auch die Untersuchungshaftanstalt gehört, versammeln sich mehr als zehntausend Demonstranten. Fünf Minuten später stürmen SED-Gegner das Gebäude. Die Volkspolizisten im Gebäude rufen die Rote Armee zur Hilfe.
Die Reichsbahn stellt den Strom auf allen Bahnstrecken in und um die geteilte Stadt ab.
Demonstranten stürmen die SED-Kreisleitung, nehmen den örtlichen Parteichef Karl Weichold als Geisel und ziehen weiter zur Stasi-Dienststelle. Fast gleichzeitig werden das Rathaus, das Kreisgericht, die Verwaltung der HO (Handelsorganisation) und weitere DDR-Institutionen gestürmt.
Im Kreml donnert KGB-Chef Lawrenti Berija: "Warum spart Semjonow mit Patronen?"
Im Polizeipräsidium kommt es zu Schießereien. Zuerst feuern Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeiter, die versuchen, die beiden Gefängnisse im Hofgebäude des Präsidiums zu verteidigen. Mindestens sechs Demonstranten sterben sofort, es gibt mehrere Dutzend Verletzte. Als die Aufständischen mit eroberten Waffen zurückschießen, werden Volkspolizisten und ein Stasi-Unterleutnant getötet.
Mit seinen engsten politischen Mitarbeitern, Kanzleramtschef Otto Lenz und Ministerialdirigent Hans Globke sowie dem Minister für gesamtdeutsche Fragen Jakob Kaiser, bespricht Konrad Adenauer die Lage in der DDR. Für 12.30 Uhr wird eine Sondersitzung des Bundeskabinetts einberufen.
Demonstranten besetzen das Fernmeldeamt. Sie reißen SED-Propaganda ab, zerstören aber die Technik nicht. Über den Stadtfunk, ein Lautsprechersystem, wendet sich ein Arbeiter an die Bevölkerung. Er spricht ruhig, nicht aufputschend, und begründet, warum die Streiks notwendig seien.
Im Lustgarten am Dom und dem östlichen Ende des Boulevards Unter den Linden haben sich mehr als 50.000 Menschen versammelt. Sowjetische Panzerspähwagen fahren ohne Rücksicht in die Menge hinein. Vor der Humboldt-Universität wird ein junger Mann überrollt und schwer verletzt. Er kann sich nach West-Berlin schleppen. Andere Demonstranten glauben aber, er sei tot, und stellen ein Kreuz zum Gedenken auf.
Über die Stalinallee ziehen etwa 2000 Demonstranten und skandieren: "Wir fordern Preissenkung der HO, sonst kaufen wir am Bahnhof Zoo!"
In der Innenstadt hat die Ost-Berliner Verkehrsgesellschaft den U-Bahnverkehr lahm gelegt. Die Eingänge aller Bahnhöfe werden geschlossen.
Im sowjetischen Hauptquartier in der DDR trifft die Entscheidung aus Moskau ein: In einer Stunde soll der Ausnahmezustand verhängt werden. Die Rote Armee übernimmt die Wiederherstellung der sozialistischen Ordnung. Semjonow sagt zu Ulbricht: "Jetzt ist der Spuk sehr schnell vorbei. Ein paar Minuten nach 13 Uhr ist die Sache erledigt."
Der SED-Chef der Stadt, Karl Schumann, ordnet die Errichtung einer Rednertribüne auf dem Marktplatz an. Er will zu den Demonstranten sprechen. Als seine Mitarbeiter ihm berichten, dass allein der Versuch lebensgefährlich sein könne, verzichtet Schumann.
Mehr als 100.000 Menschen demonstrieren in der Innenstadt für freie Wahlen und gegen die SED-Regierung. Sie bringen die Stalin-Statue auf dem Augustplatz heftig ins Schwanken. Umstoßen können sie die Bronzefigur aber offenbar nicht.
Mit einem Brief von Bert Brecht an Walter Ulbricht kommt ein Assistent des Dichters zum Zentralkomitee der SED nahe dem Alexanderplatz. Doch dort ist kein Durchkommen: Tausende Arbeiter blockieren die Kreuzung Torstraße / Prenzlauer Allee und singen: "Völker, hört die Signale" Dazu gibt es immer wieder Sprechchöre: "Der Spitzbart muss weg!"
Mit Hilfe sowjetischer Panzer hat die Volkspolizei die Demonstration vor dem Polizeipräsidium aufgelöst. Jetzt werden das Haupt- und das Hofgebäude geräumt.
Das Bundeskabinett hat sich zu einer Sondersitzung im Palais Schaumburg versammelt; der Bundeskanzler erscheint mit zehn Minuten Verspätung. Jakob Kaiser gibt "einen ausführlichen Bericht über den letzten Stand der Dinge in Berlin", Adenauer verliest den Entwurf einer Regierungserklärung, die er in der regulären Sitzung des Bundestages verlesen will. Nach geringfügigen Änderungen verabschiedet das Kabinett die Vorlage.
Die Demonstranten haben die Stadt fest im Griff. Die Gebäude der wichtigsten Institutionen der SED-Diktatur, darunter die Kreisparteileitung, die Stasi-Dienststelle und das Volkspolizei-Kreisamt, sind besetzt. Streikführer Wilhelm Fiebelkorn verkündet: "Nach acht Jahren Zwangsherrschaft der SED grüßen wir alle diesen Tag als Wiedergeburt unserer Freiheit."
Ein Lautsprecherwagen ermutigt die Demonstranten, die über die Sektorengrenze nach West-Berlin strömen, zurückzugehen und weiter zu protestieren. Gleichzeitig wird zur Solidaritätsdemonstration am Kreuzberger Oranienplatz um 18 Uhr aufgerufen.
40 Lastwagen mit Rotarmisten, bewaffnet mit Maschinengewehren und Kanonen, sind auf der Wilhelmstraße und dem Thälmannplatz eingetroffen.
Am Potsdamer Platz fallen Schüsse. Sowohl Rotarmisten als auch Angehörige der Kasernierten Volkspolizei schießen scharf, meistens jedoch noch über die Köpfe der Demonstranten hinweg. Die Menge zerstreut sich zum Teil, entweder über die Sektorengrenze oder über Trümmergrundstücke Richtung Norden. Die West-Berliner Polizei sperrt die Brücken über den Landwehrkanal außer für Krankenwagen und Feuerwehr.
Demonstranten belagern die Stasi-Dienststelle und das Untersuchungsgefängnis. Gestürmt werden die Gebäude der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und der Nationalen Front.
Im Elisabeth-Krankenhaus, weniger als anderthalb Kilometer vom Leipziger Platz entfernt, wird der Tod von Horst Bernhagen festgestellt. Der 21-Jährige hat wenige Minuten zuvor einen Kopfschuss erlitten und ist sofort über die Sektorengrenze in die Klinik gebracht worden. Doch die Ärzte können ihm nicht mehr helfen.
Die Stasi hat keinen Kontakt mehr zur SED-Einsatzleitung. Die MfS-Dienststelle ist bereits gestürmt. Nun befürchten die Geheimpolizisten, Demonstranten könnten sich mit den scharfen Waffen und der Munition in der Dienststelle bewaffnen.
US-Präsident Dwight D. Eisenhower steht auf.
Direkt aus Moskau trifft Marschall Wassili Sokolowski in der DDR ein. Der Generalstabschef der Roten Armee kennt Ostdeutschland, denn er war hier schon 1946 bis 1949 Oberbefehlshaber der sowjetischen Truppen. Sein Auftrag ist, den Aufstand niederzuschlagen. Direkt nach seiner Landung gibt er den vorbereiteten Befehl frei, den Ausnahmezustand zu verhängen. Eine halbe Stunde später verkündet Stadtkommandant Generalmajor Pawel Dibrowa: "Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und sonstige Menschenansammlung über drei Personen" für illegal. Außerdem gilt eine Ausgangssperre ab 21 Uhr.
Ein Telegramm des britischen Stadtkommandanten von Berlin, General Cyril Frederick Charles Coleman, informiert Premierminister Winston Churchill, dass es sich nicht "bloß um den Protest gegen ,Normen' handelt, sondern um einen Aufstand der Bevölkerung aus ganz Ostdeutschland".
Nach den Schüssen sowjetischer Panzer und Volkspolizisten werden auf West-Berliner Seite mindestens zehn Schwerverletzte behandelt.
Die sowjetischen Truppen und die Volkspolizisten erfahren, dass der Ausnahmezustand verhängt worden ist. Eine offizielle Mitteilung darüber gibt es aber noch nicht. Trotzdem gehen jetzt etwa 3000 Rotarmisten und 10.000 DDR-Uniformierte gewaltsam vor: Sie rollen in die größten Menschenansammlungen hinein.
Verzweifelte junge Leute werfen Steine auf die sowjetischen Panzer und versuchen, mit Latten und Eisenstangen die Ketten zu blockieren – vergeblich. Die Sowjets schießen über die Köpfe hinweg und zwingen sie so, auszuweichen und sich zu zerstreuen.
Demonstranten umlagern das Gefängnis in der Kleinen Steinstraße. Wachleute schießen und verletzen mehrere Demonstranten schwer. Zwei anwesende Offiziere verhindern eine weitere Eskalation, indem sie ihren Männer Schießverbot erteilen.
Mehrere Lastwagen mit Streikenden treffen bei den großen Betrieben der Industriestadt ein und rufen ihre Kollegen zum Streik auf. Die örtlichen SED-Funktionäre haben sich vorbereitet: Sie treten zusammen mit Volkspolizisten auf und schüchtern die Belegschaften erfolgreich ein.
Das Politbüro der KPdSU entscheidet, den Aufstand notfalls "unter Einsatz aller notwendigen Mittel" zu beenden.
Die Volkspolizei erfährt, dass an der Humboldt-Universität ein Holzkreuz an einen jungen Mann erinnert, der hier zwei Stunden zuvor von einem Panzer überrollt worden sei. Das Polizeipräsidium gibt eine Weisung: "Es wird gebeten, dieses Holzkreuz wieder zu entfernen."
Das Frauengefängnis in der Kleinen Steinstraße wird gestürmt; alle 251 Häftlingen werden befreit. Unter ihnen ist auch eine etwa 40-jährige Frau, die sich selbst "Erna Dorn" nennt und seit Jahren wirre Berichte über ihre angeblichen Verbrechen als KZ-Wächterin von sich gibt. Wahrscheinlich handelt es sich um freie Erfindungen der geistig gestörten Frau.
Zum Frühstück kommt Sicherheitsberater Robert Cutler ins Weiße Haus. Er informiert Eisenhower über die Lage in Ost-Berlin. Der Präsident ist besorgt, sieht aber keine Möglichkeiten zu handeln.
Eine Dreiviertelstunde nach dem Einsatzbefehl für die Rote Armee gibt Hochkommissar Semjonow einen sehr optimistischen Bericht nach Moskau durch: "Mit dem Beginn der aktiven Eingriffe unserer Truppen begann die Lage in Berlin sich zu normalisieren. Mit dem Erscheinen von sowjetischen Panzern zerstreuten sich die Demonstranten."
Im Bundestag beginnt die Plenardebatte mit einer kurzen Regierungserklärung von Konrad Adenauer zu den Ereignissen in der DDR. Der Bundeskanzler sagt: "Wie auch die Demonstrationen der Ost-Berliner Arbeiter in ihren Anfängen beurteilt werden mögen, sie sind zu einer großen Bekundung des Freiheitswillens des deutschen Volkes in der Sowjetzone und Berlin geworden. Die Bundesregierung empfindet mit den Männern und Frauen, die heute in Berlin Befreiung von Unterdrückung und Not verlangen."
Erregte junge Männer stürmen die Wache der DDR-Transportpolizei im Hauptbahnhof und entwenden Dutzende Waffen.
Der Stasi-Spitzel und Chef des Betriebschutzes der Handelsorganisation HO, Willi Hagedorn, wird von einem erregten Mob in seiner Heimatstadt gelyncht. Er hatte 1951 geprahlt, 300 Menschen als "Faschisten" und "imperialistische Agenten" entlarvt zu haben. Seither ist das SED-Mitglied Hagedorn gefürchtet und verhasst. Nun nimmt die Menge grausam Rache: Hagedorn wird geschlagen, in die Havel geworfen, beinahe ertränkt. Er stirbt wenig später an seinen schweren Verletzungen.
Auf dem Brandenburger Tor weht Schwarz-Rot-Gold. Einige Arbeiter haben die Flagge an dem Mast gehisst, an dem bis zum Vormittag eine rote Flagge geflattert hat.
Die Stadt ist fest in der Hand der Aufständischen. Alle Gebäude der SED und des MfS sowie das Gefängnis sind besetzt. Auf dem Uhlandplatz sammeln sich Zehntausende Menschen und singen "Einigkeit und Recht und Freiheit".
Die Volkspolizei löst höchste Alarmstufe aus. Allerdings fühlen sich die Handlanger der SED-Diktatur zu schlecht ausgerüstet: Nur für jeden zweiten Mann steht eine Pistole zur Verfügung.
Vor dem Untersuchungsgefängnis in der Beethovenstraße demonstrieren etwa 1500 Menschen. Ein Wachposten schießt aus dem Gebäude gezielt und tötet den 19-jährigen Dieter Teich. Die Menschen flüchten aus dem Schussfeld.
Obwohl der sowjetische Stadtkommandant den Ausnahmezustand verhängt hat, findet auf dem Obermarkt eine Kundgebung statt. Der 68-jährige Max Latt, einer von mehreren Rednern, bringt die Gefühle der Zehntausenden Demonstranten auf den Punkt: "Die Stunde der Freiheit hat geschlagen. Wir brauchen keine Wahl mehr, denn wer Augen hat zu sehen und der Ohren hat zu hören, der weiß, wie heute die Bevölkerung der Zone denkt und sich entschieden hat. Die Wahl ist einstimmig ausgefallen, und die SED und ihre Funktionäre sollen sich aus dem Staub machen, bevor Sie der gerechte Zorn der 18 Millionen trifft."
Als Demonstranten versuchen, das Volkspolizei-Revier zu stürmen, schießen Uniformierte scharf in die Menge. Der 19-jährige Gerhard Dubielzig und der ein Jahr ältere Joachim Bauer sterben sofort.
Bauern stellen in der thüringischen Stadt per Akklamation Forderungen auf. Zu den wichtigsten gehört die Freilassung aller aus vorgeschobenen Gründen festgenommenen Bauern, die gegen die Kollektivierung aufgetreten sind, und "ausreichender gesetzlicher Schutz für die aus Westdeutschland heimkehrenden Bauern und Rückgabe ihres Vermögens".
Der Potsdamer und der Leipziger Platz sind abgesperrt; DDR-Polizisten mit Karabinern bewachen die Straßensperren. Es fallen keine Schüsse mehr. Mindestens zwei Tote sind zu beklagen, mehr als 40 Schwerverletzte liegen in West-Berliner Krankenhäusern. Verzweifelte Demonstranten stürmen die umliegenden Häuser und beginnen, Mobiliar aus den Fenstern zu werfen.
In der Bezirksstadt gehen die sowjetischen Panzerbesatzungen besonders rücksichtslos vor: Sie fahren mit vollem Tempo auf Menschenmengen zu und treiben sie so auseinander.
Im Keller des halb kriegszerstörten Columbushauses legten aufgebrachte Demonstranten ein Großfeuer.
Die 65-jährige Elisabeth Bröckers stirbt in der Universitätsklinik. Sie hat kurz zuvor in der Nähe eines Kaufhauses in der Petersstraße einen Brustschuss erlitten. Wahrscheinlich hat die Rentnerin nur einkaufen wollen.
Rotarmisten besetzen die zeitweise von Demonstranten gestürmte Strafanstalt. Die meisten Häftlinge haben sich geweigert, das Gefängnis ohne Entlassungspapiere zu verlassen – sie fürchten, als "Profiteure" des vermeintlich "faschistischen Putsches" zusätzliche Strafen zu bekommen.
Das Columbushaus am Potsdamer Platz brennt lichterloh. West-Berliner Feuerwehr verhindern das Überspringen der Flammen auf andere Gebäude und Ruinen.
Am Potsdamer Platz fallen wieder Schüsse. Nur so können sich die Volkspolizisten des Volkes erwehren, das sich Schritt um Schritt auf der Leipziger Straße der Postenkette nähert.
Der Kommandant der sowjetischen Truppen im Bezirk ordnet den Ausnahmezustand an, obwohl es hier kaum Proteste gegeben hat. Lediglich in zehn Betrieben ist die Arbeit überhaupt niedergelegt worden, zu richtigen Streik ist es nur in zwei Fabriken gekommen.
Eine Postenkette der Volkspolizei hat das Brandenburger Tor abgeriegelt. Die meisten Kontrollpunkte sind unpassierbar; trotzdem gibt es immer noch genügend Möglichkeiten, die Sektorengrenze zu überschreiten.
Auf dem Oranienplatz versammeln sich tausende West- und Ost-Berliner, um gegen das Vorgehen der Roten Armee jenseits der Sektorengrenze zu demonstrieren. Die Kundgebung beginnt um 18 Uhr.
Obwohl SED und Stasi dank der sowjetischen Soldaten wieder die Oberhand gewonnen haben, versuchen einige empörte Demonstranten, die Dienststelle von Staatssicherheit und Polizei am Dittrichring zu besetzen. Die Uniformierten schießen sofort gezielt und verletzen den 44-jährigen Uhrmacher Johannes Köhler tödlich.
US-Präsident Dwight D. Eisenhower verlässt das Weiße Haus, um Golf zu spielen. Dabei spricht er mit drei Mitspieler, darunter einem Kongressabgeordneten. Sein Sicherheitsberater hat Anweisung, das Spiel nur in dringenden Fällen zu stören.
Eine Menschenmenge hat die Kreisdienststelle des MfS gestürmt. Vier Stasi-Leute werden in einen Hundezwinger gesperrt und bekommen Näpfe mit Hundefutter vorgesetzt. Außerdem empfehlen Demonstranten ihnen, "ein rotes Flaggentuch aufzufressen".
In nahezu allen Städten und Gemeinden Ostdeutschlands gilt der Ausnahmezustand oder ist seine Verhängung bekanntgegeben worden. Zwar befinden sich immer noch viele Belegschaften im Streik, sind Görlitz, Merseburg und Bitterfeld in der Hand von Demonstranten. Doch überall ist klar, dass die Rote Armee den Aufstand niedergeschlagen hat.
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