Machtergreifung: Der Tag, an dem Hitler die Macht zufiel
In der Luxuswohnung des Ehepaars Goebbels am eleganten Charlottenburger Reichskanzlerplatz sitzt die Führung der NSDAP zusammen. Parteichef Adolf Hitler, Reichstagspräsident Hermann Göring, der Berliner Gauleiter Joseph Goebbels und einige Vertraute sind unruhig. In Berlin kursieren Putschgerüchte. Angeblich hat der geschasste Reichskanzler Kurt von Schleicher zusammen mit dem obersten General der Reichswehr, Kurt von Hammerstein-Equord, befohlen, dass am Morgen Soldaten aus Potsdam das Regierungsviertel besetzen, den greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg festsetzen und auf sein Landgut Neudeck bringen. Goebbels notiert in sein Tagebuch: "Also Staatsstreich. Drohung, Ernst, Kinderei?"
Göring, als Vertreter der stärksten Fraktion Präsident des Reichstags, sucht den vormaligen Reichskanzler Franz von Papen in der Dienstwohnung im Reichsinnenministerium in der Wilhelmstraße 74 auf, in der er wohnt. Der reaktionäre Politiker hat in den vergangenen Tagen die Bildung eines neuen Kabinetts eingefädelt, mit Hitler als Kanzler und sich selbst als Vizekanzler. Papen reagiert auf die Putschgerüchte entsetzt und verspricht, umgehend den Reichspräsidenten zu informieren.
Adolf Hitler hat den Chef der Berliner SA, Wolf Graf Helldorf, in die Wohnung von Goebbels bestellt. Der ehemalige Freikorpskämpfer und radikale Antisemit soll für den Fall eines Putschversuchs "Gegenmaßnahmen" vorbereiten. Helldorf nimmt Kontakt mit Walther Wecke auf, einem hohen NS-Sympathisanten bei der preußischen Polizei.
Göring erscheint bei Staatssekretär Otto Meissner, dem Leiter des Präsidentenbüros, in dessen 26 Zimmer großer Dienstwohnung im Seitenflügel des Reichspräsidentenpalais. Doch Papen hat ihn bereits angerufen und informiert. Außerdem weiß Meissner längst über die Gerüchte Bescheid. Also wiegelt der Karrierebeamte ab, der schon seit 1920 im Amt ist und mehrere tatsächliche Putschversuche erlebt hat.
Nach stundenlangem, rastlosem Warten auf Neuigkeiten kommen Hitler und Goebbels zu dem Schluss, dass in dieser Nacht der befürchtete Putsch nicht mehr beginnen werde. Für den Vormittag ist der NSDAP-Chef zum Reichspräsidenten bestellt. Jetzt lässt er sich ins Hotel "Kaiserhof" am Wilhelmplatz fahren, um noch etwas zu schlafen.
Um sieben Uhr ist Theodor Duesterberg, einer der beiden Vorsitzenden des konservativen Veteranenverbandes Stahlhelm, telefonisch zu Franz von Papen bestellt worden. Als er wenig später in dessen Dienstwohnung eintrifft, erlebt Duesterberg den ehemaligen Reichskanzler in höchster Erregung: "Wenn nicht bis 11 Uhr eine neue Regierung gebildet ist, marschiert die Reichswehr!" Es drohe eine Militärdiktatur unter Kurt von Schleicher und Kurt von Hammerstein-Equord. Duesterberg ist konsterniert und begibt sich sofort zum Reichspräsidentenpalais.
Im Reichsfinanzministerium ruft Behördenchef Lutz Schwerin von Krosigk seinen Bekannten Erwin Planck an, den noch amtierenden Staatssekretär in der Reichskanzlei. Der bekennende Hitler-Gegner teilt dem reaktionären Finanzminister mit, Hitler habe das Angebot abgelehnt, Reichskanzler eines überwiegend konservativen Kabinetts aus Fachleuten zu werden. Nach seinen Informationen sei der NSDAP-"Führer" bereits Richtung München abgereist. Um 11 Uhr habe Franz von Papen einen Termin bei Hindenburg.
Im Gästeappartement des Reichspräsidentenpalais trifft Duesterberg Oskar von Hindenburg, den Sohn des Staatsoberhauptes. Vor der Tür zu seinen Räumen steht ein Feldwebel der Reichswehr – der Stahlhelm-Chef fragt sich, "ob zum Schutz oder zu Überwachung". Der gewöhnlich phlegmatische Oberst, der am kommenden Tag seinen 50. Geburtstag feiert, ist erregt und fertigt Duesterberg kurz ab: "Ich kann Ihnen nichts Näheres sagen. Ich muss zum Anhalter Bahnhof."
Finanzminister Schwerin von Krosigk wird für 11.30 Uhr zum Reichspräsidenten bestellt. Er sorgt sich, zum Eintritt in ein neues Kabinett unter Papen gedrängt zu werden. Schwerin von Krosigk ruft seinen Kollegen Außenminister Konstantin von Neurath an und verabredet mit ihm, für eine solche Lösung der Regierungskrise nicht zur Verfügung zu stehen.
Der britische Botschafter in Berlin, Sir Horace Rumbold, setzt einen Bericht an das Foreign Office in London auf. Er erwartet, dass an diesem Morgen Franz von Papen erneut zum Reichskanzler ernannt wird. Die Putschgerüchte, die der erfahrene Diplomat auch gehört hat, nimmt er nicht ernst.
Mit dem Nachtzug aus der Schweiz trifft Generalleutnant Werner von Blomberg in Berlin ein, der Chef der deutschen Delegation bei den laufenden Abrüstungsverhandlungen in Genf. Dort wir er gleich doppelt erwartet: Hammerstein-Equord hat seinen Adjutanten Major Adolf Kuntzen geschickt, um Blomberg ins Reichswehrministerium zu geleiten. Auch Oskar von Hindenburg ist erschienen, mit der Weisung seines Vaters, Blomberg zum Reichspräsidenten zu bringen. Der Generalleutnant, der sich selbst als "unpolitisch" und "überparteilich" versteht, entscheidet sich nach kurzem Zögern für das Staatsoberhaupt und gegen seinen direkten Vorgesetzten.
Paul von Hindenburg empfängt im Reichskanzlerpalais, wo er wegen laufender Renovierungsarbeiten am Reichspräsidentenpalais zur Zeit wohnt, Werner von Blomberg. Nach einem kurzen Gespräch macht er den überraschten Karriereoffizier zum neuen Reichswehrminister und vereidigt ihn sofort. Formal ist das verfassungswidrig, weil der Reichspräsident Minister nur "auf Vorschlag des Reichskanzlers" ernennen kann. Das ungewöhnliche Vorgehen begründet Hindenburg mit dem angeblich bevorstehenden Putsch durch Schleicher und Hammerstein-Equord. Nun ist Blomberg deren Vorgesetzter. Dennoch rät Oskar von Hindenburg dem neuen Reichswehrchef, noch nicht in sein Ministerium zu fahren: Er laufe Gefahr, dort verhaftet zu werden.
In der Dienstwohnung des Reichswehrministers warten Kurt von Schleicher und Kurt von Hammerstein-Equord vergeblich auf Werner von Blomberg. Major Kuntzen hat sie informiert, dass der General direkt zu Hindenburg gefahren ist. Aus dem Reichskanzlerpalais erfährt Schleicher, dass Blomberg als neuer Reichswehrminister vereidigt worden sei. Da er als Reichskanzler zwar zurückgetreten, aber formal noch geschäftsführend im Amt ist, ruft Schleicher Staatssekretär Otto Meissner an, um gegen den Verstoß gegen die Verfassung zu protestieren. Doch Meissner fertigt den ehemaligen General kurz ab: Der Reichspräsident habe gehandelt, nachdem Regierung und Reichstag dazu nicht in der Lage gewesen seien.
Reichstagspräsident Hermann Göring trifft in Papens Dienstwohnung ein. Er findet dort Hitler und den DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg vor, die lautstark streiten. Es geht darum, ob der erst am 6. November 1932 gewählte Reichstag abermals aufgelöst werden soll oder nicht. Hugenberg fürchtet, dass seine reaktionäre Partei dann weiter an Zustimmung verlieren könnte. Er plädiert für eine Vertagung des Parlaments und gegebenenfalls die Unterdrückung der KPD. Der NSDAP-Chef dagegen will unbedingt Neuwahlen.
Theodor Duesterberg kommt ins Reichsinnenministerium. Hitler nutzt die Gelegenheit, die Diskussion mit Hugenberg abzubrechen, und wendet sich an den "Stahlhelm"-Vorsitzenden, um sich für wüste Angriffe der NS-Zeitungen zu entschuldigen: "Ich bedauere die Ihnen durch meine Presse zugefügten gehässigen Beleidigungen. Ich versichere Ihnen auf mein Wort, dass ich diese nicht veranlasst habe." Auch Göring zeigt sich auf einmal jovial-bieder. Er ergreift Duesterbergs Hand und sagt treuherzig: "Jetzt müssen wir zusammenhalten!"
Um nicht auf der Wilhelmstraße gesehen zu werden, bringt Franz von Papen Hitler, Göring, Hugenberg, Duesterberg und Blomberg durch die Ministergärten in das Reichskanzlerpalais Wilhelmstraße 77; dort warten einige weitere Mitglieder des künftigen Reichskabinetts. Im Arbeitszimmer von Staatssekretär Otto Meißner geht die Diskussion zwischen Hitler und Hugenberg weiter, doch es gibt keine Annäherung.
Im Hotel "Kaiserhof" warten Joseph Goebbels, Rudolf Hess, SA-Chef Ernst Röhm sowie mehrere Vertraute der NS-Führung auf Nachrichten aus den gegenüberliegenden Regierungsgebäuden. Genau für diese Zeit ist Hitler zum Reichspräsidenten bestellt.
Im Dienstzimmer von Staatssekretär Otto Meißner haben sich alle Mitglieder der künftigen Regierung versammelt: Außer Hitler sind anwesend Franz von Papen (Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen), Alfred Hugenberg (Wirtschaft und Landwirtschaft), Konstantin von Neurath (Auswärtige Angelegenheiten), Lutz Schwerin von Krosigk (Finanzen), Werner von Blomberg (Reichswehr), Paul von Eltz-Rübenach (Verkehr und Post) und Franz Seldte (Arbeit) sowie als einzige Nationalsozialisten neben Hitler Wilhelm Frick (Inneres) und Reichstagspräsident Hermann Göring, der zugleich Minister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer Innenminister Preußens werden soll. Einen Kandidaten für das Justizministerium gibt es noch nicht. Aber noch immer streiten Hitler und Hugenberg über die Auflösung des Reichstages. Der Staatssekretär unterbricht die Diskussion: "Meine Herren, die Vereidigung durch den Herrn Reichspräsidenten war um 11 Uhr angesetzt. Es ist 11.15 Uhr. Sie können den Herrn Reichspräsidenten nicht länger warten lassen!" Dann führt er die zerstrittenen Koalitionspartner und die künftigen Minister in den Empfangssaal des Reichskanzlerpalais.
Im Sitzungssaal der SPD-Fraktion im Reichstag treffen sich der SPD-Parteivorstand, einige hohe Gewerkschaftsfunktionäre und Reichstagsabgeordnete zu einer Sondersitzung. Sie wollen beraten, wie die größte demokratische Kraft in Deutschland weiter vorgehen soll. Für den 31. Januar 1933 ist die nächste Reichstagssitzung angesetzt. Wird dann bereits eine Regierung ernannt sein, die das Vertrauen des Reichstages braucht? Otto Braun, bis zu seiner rechtswidrigen Absetzung im Juli 1932 langjähriger Ministerpräsident des größten deutschen Landes Preußens, empfiehlt Abwarten. Das sei besser, als "irgendwelchen Unsinn zu machen".
Reichspräsident Paul von Hindenburg begrüßt die künftige Regierung mit einer kurzen Ansprache und gibt seiner Genugtuung über die endlich erzielte Einigung der "nationalen Rechten" Ausdruck. Papen verliest die Ministerliste, damit Hindenburg auch weiß, wen er vereidigt. Unmittelbar danach spricht Schwerin von Krosigk den künftigen Vizekanzler an: "Ich habe meine Mitarbeit davon abhängig gemacht, dass mir eine sachliche Möglichkeit für ein ersprießliches Wirken gegeben wird." Das "Eiltempo" der Ernennung macht ihn unsicher, er weiß nichts über das sachliche Programm des Kabinetts. Papen führt ihn sofort zu Hitler, dem Schwerin von Krosigk Bedingungen für seinen Eintritt ins Kabinett nennt: Sicherung des Etats, keine Währungsexperimente, Erhaltung der Steuergutscheine. Den ersten beiden Punkten stimmt Hitler sofort zu, zum dritten sagt er sinngemäß: "Im Grundsatz ja, in der Form vielleicht etwas anders."
Paul von Hindenburg beginnt mit der Vereidigung – und übergeht dabei den formellen Akt der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Alle Kabinettsmitglieder schwören, die Reichsverfassung vom 11. August 1919 einzuhalten, doch genau das hat keiner der Anwesenden vor: Alle wollen nicht mehr den Rechtsstaat der vergangenen Jahre, sondern ein autoritäres Regime. Danach dankt Hitler in einer kurzen Ansprache und bittet den Reichspräsidenten um Vertrauen für sich und das Kabinett. Der 85-jährige Hindenburg ist von den Ereignissen des Vormittags erschöpft; er will seine Ruhe und entlässt die neue Regierung mit den Worten: "Und nun, meine Herren, vorwärts mit Gott!"
Obwohl der Weg vom Reichskanzlerpalais zur Vorfahrt des Hotels "Kaiserhof" nur knapp 200 Meter weit ist, lässt sich Hitler chauffieren. Mehrere Hundert NSDAP-Anhänger haben sich auf Wilhelmstraße und Wilhelmplatz versammelt, weitere werden gerade heranbeordert. Im Restaurant des Luxushotels begeht Hitlers zusammen mit fast der gesamten NSDAP-Führung eine erste "Siegesfeier".
Staatssekretär Otto Meissner gibt ein kurzes offizielles Kommuniqué heraus, das die umlaufenden Gerüchte über eine neue Regierung bestätigt: "Der Reichspräsident hat Herren Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt."
Joseph Goebbels ist ins "Adolf-Hitler-Haus" hinübergegangen, die erst 1932 bezogene neue Geschäftsstelle der Berliner NSDAP. Er notiert in sein Tagebuch, was Hitler ihm über die Vereidigung beim Reichspräsidenten erzählt hat: "Der Alte hat nachgegeben. Er war zum Schluss ganz gerührt. So ist's recht. Jetzt müssen wir ihn ganz gewinnen. Uns allen stehen die Tränen in den Augen. Wir drücken Hitler die Hand. Er hat's verdient. Großer Jubel."
Als die Nachricht von Hitlers Ernennung aus Berlin eintrifft, sinken die Werte deutscher Aktien in der britischen Hauptstadt deutlich. Der neuen Regierung trauen die meisten Händler offenbar wenig zu.
Im Sitzungssaal des Reichswehrministers versammelt der abgelöste Reichskanzler Kurt von Schleicher zum letzten Mal die Mitglieder seines Kabinetts um sich. Mit Konstantin von Neurath, Lutz Schwerin von Krosigk und Paul von Eltz-Rübenach sind drei seiner Minister auch Mitglieder des neuen Kabinetts. Der Protokollant, Ministerialrat Wienstein, vermerkt nur einen Satz: "Der Reichskanzler spricht den Mitgliedern des Reichskabinetts seinen aufrichtigen Dank für die vertrauensvolle Zusammenarbeit unter seiner Kanzlerschaft aus." Schwerin von Krosigk hält in seinem Tagebuch fest: "Ganz kurze Ansprache Schleichers; man merkt ihm seine tiefe Erschütterung nicht an. Aber diese Erfahrung ist ihm ans Leben gegangen."
Der Bohemien Harry Graf Kessler empfängt einen Freund zum späten Frühstück, der die Nachricht des Tages mitbringt. Kessler ist verblüfft; mit dieser Lösung der Regierungskrise hat er nicht gerechnet, erst recht nicht so schnell, wie er in sein Tagebuch schreibt. Beim Portier seines Hauses, einem Nationalsozialisten, bricht sofort "ein Überschwang von Festtagsstimmung aus".
Hermann Göring empfängt den Fraktionschef der katholischen Zentrumspartei, Ludwig Perlitius, und dessen Kollegen Johannes Bell. Die beiden zeigen sich verstimmt, weil ihre Partei bei der Regierungsbildung übergangen worden ist.
Staatssekretär Otto Meißner lässt die Entlassungsurkunden der bisherigen Regierung unter Kurt von Schleicher von Kurieren abholen und zustellen. Üblich ist, dass scheidende Kabinettsmitglieder vom Reichspräsidenten persönlich verabschiedet werden. Doch Hindenburg ist zu müde, er hat sich hingelegt.
In der Gauleitung Berlin organisiert Joseph Goebbels atemlos einen Fackelzug für den Abend. Der neue Reichsinnenminister Wilhelm Frick lässt seine Beamten eine Ausnahmeregelung schreiben, um den Marsch durch das Brandenburger Tor zu gestatten. Weil das Wahrzeichen Berlins im Bannkreis des Reichstages liegt, sind politische Demonstrationen hier eigentlich verboten.
Parlamentspräsident Hermann Göring versammelt den Ältestenrat des Reichstages um sich. Er will erreichen, dass die für den kommenden Tag angesetzte nächste Sitzung des Reichstages verschoben wird. Findet sie statt, besteht die Gefahr, dass die Abgeordneten von SPD, KPD, Zentrum und Splitterparteien NSDAP und DNVP der Regierung das Vertrauen entziehen. Dann müsste das gerade erst ernannte Kabinett gleich wieder zurücktreten. Streit gibt es vor allem, ob Göring als amtierender Reichstagspräsident auch Mitglied der Regierung sein darf, wenn auch nur als Minister ohne Geschäftsbereich. Allerdings gibt es keinen Paragrafen, der das verbietet.
In der Redaktion der "Vossischen Zeitung" feilt Chefredakteur Carl Misch an seinem Kommentar für die Abendausgabe. Der kurze, aber hellsichtige Meinungsartikel endet mit den Worten: "Hindenburg hat Hitler betraut. Die Zeichen stehen auf Sturm."
In der Redaktion des "Völkischen Beobachters" im Zeitungsviertel sitzt Hans Herbert Schweitzer an einer Zeichnung. Sie zeigt den Reichspräsidenten halb von hinten, wie er die Parade von SA-Leuten abnimmt, die durch das Brandenburger Tor auf ihn zu marschieren. Die Zeichnung soll im NS-Zentralorgan am kommenden Morgen erscheinen. Schweitzer, der unter dem Pseudonym "Mjölnir" zeichnet, produziert gewöhnlich üble antisemitische Hasskarikaturen.
Unter dem Jubel von inzwischen mehreren tausend NSDAP-Anhängern verlässt Hitler das Hotel "Kaiserhof", um sich zur Reichskanzlei fahren zu lassen, seinem neuen Dienstsitz. Sein Wagen kann sich nur im Schritttempo vorwärts bewegen.
In der Reichskanzlei findet der erste Fototermin des neuen Kabinetts statt. Mehr als ein Dutzend Fotografen und mindestens zwei Kameraleute von Wochenschauen machen Aufnahmen der Regierung Hitler. Die neuen Minister wirken unbeholfen, der Kanzler linkisch. Mit auf dem Foto ist der Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung Günther Gereke von der DNVP. Eigentlich soll er gar nicht Mitglied des Kabinetts sein, aber niemand hat daran gedacht, ihn aus seiner Funktion zu entlassen.
Zum ersten Mal tagt das neue Kabinett. Sofort setzt sich der Streit zwischen Hitler und Hugenberg fort. Abermals plädiert der neue Wirtschaftsminister gegen eine weitere Neuwahl und für die Unterdrückung der KPD. Die Mehrheit auch der reaktionären Minister stimmt Hitler zu. Hugenberg ist schon in der ersten Sitzung beinahe isoliert. Rasch einigt man sich dafür, ein Ermächtigungsgesetz für die neue Regierung anzustreben. Solche Gesetze hat es schon 1919 bis 1923 in Krisenzeiten wiederholt gegeben.
Die Vorbereitungen für den Fackelzug sind abgeschlossen; auf Dutzenden Lastwagen werden alle in Berlin verfügbaren Fackeln in den Tiergarten gebracht. Da es keinerlei Vorbereitungen für eine mögliche Regierungsbeteiligung der NSDAP gegeben hat, kaufen NSDAP- und SA-Funktionäre Brennstoffhandlungen leer. Fackeln sind 1933 üblich, wenn man irgendwo Beleuchtung braucht.
Am Großen Stern versammeln sich mehrere tausend Hitler-Anhänger und Mitglieder des "Stahlhelms"; die meisten von ihnen kommen mit der S-Bahn und steigen an der Station Tiergarten aus. SA-Funktionäre formieren sie zu einer sechs Mann breiten Marschkolonne.
Am Großen Stern setzt sich der Fackelzug langsam in Bewegung. Als die ersten Männer durch das Brandenburger Tor marschieren, müssen sie einen Schwenk nach rechts machen, auf das Hotel "Adlon" zu, denn mitten auf dem Pariser Platz stehen Bauzäune.
Die Spitze des Fackelzuges, der sich nur in geringem Schritttempo bewegt, biegt in die Wilhelmstraße ein. Am Fenster der britischen Botschaft stehen Sir Horace Rumbold und sein Militärattaché, der sich mit Aufmärschen auskennt. Mehr als drei Stunden lang strömen Fackelträger an ihnen vorbei Richtung Wilhelmplatz. Rumbold schätzt die Zahl der Marschierer auf maximal 10.000 pro Stunde, also 1600 Sechserreihen, sein Attaché sogar nur auf 15.000 Mann insgesamt. Im Radio spricht Joseph Goebbels gleichzeitig von einer halben Million Menschen.
Die ersten Reihen kommen am Reichskanzlerpalais und der Reichskanzlei an. Hindenburg steht am Fenster seines provisorischen Dienstsitzes und murmelt seinem Sohn zu: "Das sind alles die Russen, die wir in Tannenberg besiegt haben?" Der 85-Jährige versteht nicht, was um ihn herum geschieht. Im Nachbargebäude steht Hitler am Fenster seines neuen Arbeitszimmers und genießt seinen Sieg.
Im Hotel "Kaiserhof" kommen Harry Graf Kessler, der frühere oberste Soldat der Reichswehr Hans von Seeckt und einige weitere hochrangige Gäste zu ihrem regelmäßigen Montagabend-Dinner zusammen. Kessler registriert die "Faschingsstimmung" in dem Hotel, das zugleich Hitlers Hauptquartier in Berlin ist. Alle wichtigen Nazis sind in der Reichskanzlei – im "Kaiserhof" hat sich nur die "zweite Garde" versammelt.
Das Ende des Fackelzuges zieht an der Reichskanzlei vorüber. Tausende bleiben auf dem Wilhelmplatz und schreien immer wieder "Heil Hitler!". Erst nach Mitternacht beruhigt sich die Situation etwas. Goebbels und Hitler reden miteinander über die nächsten Schritte: So bald wie möglich sollen der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen ausgeschrieben werden. Das Unheil nimmt seinen Lauf.
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