Carsten Rodbertus: Der Mann hinter dem riskanten Prokon-Versprechen
Als Carsten Rodbertus die Zimmertür öffnet und hinaus auf den Flur tritt, verwandelt sich das hundertfache Gemurmel in stürmischen Applaus. Die Mitarbeiter haben sich in der Firmenzentrale versammelt, der Chef hatte am Wochenende Geburtstag, er wird eine kleine Rede halten, eine Betriebsversammlung ist anberaumt. Darauf warten sie schon seit einer Weile. Der Termin mit den beiden Reportern hat etwas länger gedauert.
Rodbertus schreitet durch den Flur, seine Mitarbeiter weichen zurück. Hier in seinem Reich ist es, als könnte er das Meer teilen. Es ist ein Montagmorgen in Itzehoe, eine halbe Autostunde von Hamburg entfernt, März 2013.
In seinem Reich, außerhalb seines Reiches. Dieser Unterschied war schon immer wichtig, in den kommenden Monaten wird er noch wichtiger werden. Er wird vieles erklären, was folgt. Carsten Rodbertus befindet sich im Februar 2013 in einer entscheidenden Phase. Er steht mitten in einem zähen Kampf. Prokon steckt in Schwierigkeiten. Das Jahr 2012 war kein gutes, der Firma ist nicht viel gelungen. Es geht darum, wer die Deutungshoheit über sein Lebenswerk hat. Rodbertus oder die anderen.
Rodbertus ist ein Mann der einfachen Wahrheiten. Drinnen oder draußen. Wer nicht mit ihm ist, ist gegen ihn. Es sind einfache Wahrheiten wie diese, die zu seinem Erfolg beigetragen haben.
Seine Geschichte klingt ein bisschen nach Hollywood. Rodbertus ist, salopp gesagt, vom Werbefuzzi zu einem Konzernchef aufgestiegen. Als Mitte der 80er-Jahre in Tschernobyl ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt, beschließt ein junger Buchhalter aus Hamburg, die Welt zu verändern.
Er zieht aufs Land, pachtet einen Acker und lässt dort seine ersten beiden Windräder aufstellen. Mitte der 90er gründet er in Itzehoe seine eigene Firma: Prokon. Sie soll Windparks entwickeln, finanzieren, betreuen. Die Firma wächst. Der Chef erscheine barfüßig zu Terminen, heißt es. Doch Wind reicht Rodbertus irgendwann nicht mehr. Er steigt bei zwei Firmen ein. Die eine stellt Diesel aus Rapsöl her, die andere verarbeitet Holz zu Paletten.
Diese Geschichte ist Rodbertus' Kapital, seit Jahren. Denn Prokon, das ist der Chef, das ist Carsten Rodbertus. Das ist eine der einfachen Wahrheiten. Er, der geschäftsführende Gesellschafter, fährt mit seinem Dacia Duster quer durch die Republik, das rollende Understatement, um seine Geschichte abends im Erdgeschoss irgendeines Hotels zu erzählen, wieder und wieder. Ein Mann Anfang 50, die langen grauen Haare zum Pferdeschwarz gebunden. So wirbt er neues Geld für die Firma ein.
Diese Abende, bis zu 70 im Jahr, ähneln einander. Rodbertus, gut 300 Zuhörer: Familienväter, Mütter, Tanten, Onkel, Großväter und Großmütter, die er zu Anlegern machen will. Wie kaum ein anderes Unternehmen hängt Prokon davon ab, dass man ihm vertraut. Die Firma lebt von dem Geld, das Privatleute in eine grüne Zukunft investieren wollen. Es ist ein wichtiger Teil der Finanzierung.
So ist Prokon groß geworden, sehr groß. Die Energiewende ist längst zu einem gigantischen Markt für Solarfirmen und Windkraftunternehmen geworden. Und Rodbertus' Firma ist eine der größten, "der Marktführer", so nennt sie sich selbst.
Millionen Deutsche kennen ihren Namen: Prokon. Aus U-Bahnen, aus Werbefilmen, die sie im Fernsehen vor der "Tagesschau" oder in den "Sportschau"-Pausen gesehen haben, oder weil sie schon mal Post von Prokon bekommen haben.
"Es ist Zeit, etwas zu verändern … und das lohnt sich!" Rodbertus verspricht sauberen Strom und schöne Renditen, mindestens sechs Prozent, es waren sogar mal acht. Das zahlt heute kaum noch jemand. So hat er rund 75.000 Deutsche überzeugt, ihm ihr Geld anzuvertrauen, fast eineinhalb Milliarden Euro.
Dieser Erfolg war vor allem Rodbertus' Werk. Er kann reden, gewinnen, überzeugen. Selten ist er um eine Antwort verlegen. Wer ihn besser kennt, sagt, Rodbertus arbeite wie besessen. Das ist die eine Seite des Carsten Rodbertus. Wer viel erreicht hat, hat viel zu verlieren. Das führt zu Rodbertus' anderer Seite.
Er hat eine treue Schar Anhänger um sich versammelt. Mitarbeiter, Anleger. Er hat sie überzeugt, dass jemand anders ist, wenn er mit Prokon ist. Verantwortungsvoller, umweltfreundlicher, irgendwie ein besserer Mensch. Nicht bloß dem Geld hinterher, wie die Konzerne. Weniger gierig als die Banker, die der Welt eine verheerende Finanzkrise beschert haben. Moralisch intakt, nicht so wie die Politiker. Oder wie die Journalisten.
Es ist der übliche Text vieler Firmen, die Biofleisch oder grünen Strom verkaufen wollen. Aus Rodbertus' Mund klangen die Glaubenssätze immer ein bisschen überzeugter und auch aggressiver als aus dem Mund anderer. So hat er nach und nach eine hohe, unsichtbare Mauer um sein Reich errichtet. Wir hier drinnen, die da draußen.
Als er die beiden Reporter der "Welt am Sonntag" zum Interview in seiner Firmenzentrale empfangen hat, stand auf einem langen Besprechungstisch ein Tonbandgerät, ein Mitarbeiter hatte eine Filmkamera aufgebaut. Vielleicht wollte Rodbertus alles dokumentieren, wie er sagte. Vielleicht wollte er ein bisschen einschüchtern.
Die Medien, so scheint es, sind in den vergangenen zwölf Monaten zu seinem ärgsten Feind geworden. Und wo einfache Wahrheiten gelten sollen, schwarz oder weiß, für oder gegen Prokon, rutschen die Tatsachen schon mal aus dem Blick.
Dass Prokon im Prinzip selbst ein Konzern geworden ist, und dass auch Prokons Anleger wegen der zwischenzeitlich acht Prozent Zinsen Robertus' Genussrechte kauften – nicht nur wegen des guten Gewissens –, darüber hat man Rodbertus eher nicht reden hören. Und wenn man ihn auf die vielen Probleme in allen drei Prokon-Geschäftsfeldern ansprach, antwortete er so, dass er einem das Gefühl gab, man habe sein Geschäft bloß nicht verstanden.
Das Interview mit der "Welt am Sonntag", Rodbertus hatte die Arme die meiste Zeit in Abwehrhaltung vor dem Bauch verschränkt, war eines der letzten, die Rodbertus gegeben hat. Danach hat er beschlossen, gar nicht mehr mit Journalisten zu reden und auch schriftliche Fragen nicht mehr zu beantworten.
Dabei hätte es einiges zu besprechen gegeben. Testierte Konzerndaten zum Beispiel, Jahresabschlüsse, die die Zweifel an der Nachhaltigkeit von Prokons Geschäftsmodell hätten beseitigen können. Die aber zumindest endlich einmal einen Aufschluss darüber hätten geben können, wie Prokon wirtschaftlich tatsächlich dasteht. Prokon hat sie im vergangenen Jahr mehrfach angekündigt – und bis heute nicht veröffentlicht.
Schuld, sagte Rodbertus, seien die Medien. Die Wirtschaftsprüfer hätten wegen der Berichterstattung Angst gehabt, zu den schon abgestimmten Zahlen zu stehen. Es wirkte, als stelle sich Rodbertus blind, taub und stumm.
Es gibt aus dem vergangenen Jahr eine Reihe ähnlicher Beispiele. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Rodbertus wegen Betrugsverdachts, die allerdings inzwischen größtenteils wieder eingestellt sind. Eine Lawine von Schadenersatzforderungen, die auf ihn zurollte, losgetreten von Kunden und ehemaligen Anlegern. Und immer wieder Prokons Bilanzen.
Wenn die Stiftung Warentest warnte oder ARD, ZDF, die "Wirtschaftswoche" oder die "Welt" berichteten. Schuld waren gierige Ex-Anleger, unverschämte Geschäftspartner oder die Journalisten, die angeblich auf höheren Auftrag hin handelten und Prokon bloß schaden wollten.
"Rodbertus erkennt seine Fehler nicht, oder er will sie nicht einsehen", sagt jemand, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat. "Jedenfalls zieht er keine Lehren daraus. Das ist sein großes Problem." Es scheint jedenfalls, als habe Rodbertus nicht bemerkt, dass sich die Wirklichkeit auch von hohen unsichtbaren Mauern nicht aufhalten lässt.
Im ersten Halbjahr 2013 war er noch einigermaßen erfolgreich. Prokons Werbemaschine funktionierte tadellos. Und Rodbertus hatte große Pläne. Er wollte zehn Milliarden Euro einsammeln, fast zehnmal so viel wie bisher. Was er mit dem vielen Geld anfangen würde, das wusste er im Februar noch nicht: "Es gibt keine wirkliche Zielvorgabe", sagte er im Interview mit der "Welt am Sonntag". In der zweiten Jahreshälfte allerdings kam er kaum noch an frisches Geld. Gegen Ende des Jahres wurde die Lage immer dramatischer. Schuld waren, na klar, die Medien, die so schlecht berichteten.
Erstaunlich eigentlich. Rodbertus weiß, was wichtig ist, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Offenheit. Rodbertus nennt sie Transparenz. Es ist das Wort, mit dem er jahrelang wie ein Wanderprediger durchs Land zog. Kaum ein Wort benutzte er so oft, ob er zu Anlegern sprach oder mit Journalisten. "Gerade die Fragerunden sind natürlich offen und frei. Sind transparent." Einer seiner Sätze aus dem Interview von vor einem Jahr. Umso merkwürdiger ist, dass die Transparenz zuletzt immer öfter endete, wenn es richtig interessant wurde.
Die Bilanzen, die angekündigt und nicht veröffentlicht wurden. Die Frage, womit Prokon eigentlich das Geld verdient, um die hohen Zinsen auszahlen zu können – nie richtig beantwortet. Die Erklärungen für die wahrhaftig nicht tollen Geschäftszahlen der letzten Zeit: ziemlich dünn und selten selbstkritisch.
Und jetzt, da es wirklich um alles geht, Insolvenz oder nicht, da stellt Rodbertus seine Anleger im Internet vor die Wahl. Sie möchten sich doch noch einmal überlegen, ob sie ihr Geld wirklich zurückhaben wollen. Es sieht aus wie eine Bitte, aber eigentlich ist es eine Drohung. Im Grunde bietet das Formular auf der Prokon-Seite nur zwei Möglichkeiten: mitmachen oder das Licht ausmachen, dabei sein oder dagegen sein.
Wenn jemand sein Geld wie versprochen jetzt zurückhaben will, findet er neben dem Kästchen, in das er sein Kreuz machen soll, den Satz: "Eine Insolvenz von Prokon nehme ich bewusst in Kauf." Als seien die Anleger schuld an Prokons Problemen.
Das ist unverschämt, aber es passt. Man ist mit Rodbertus. Oder gegen ihn.
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