Das ganz große Rad
Die Internetseite des Windkraftanbieters Prokon ist ein richtiger Gute-Laune-Macher. Gute Nachrichten, wohin man klickt. "Prokon gewinnt den 20.000sten Stromkunden", heißt es da. Oder: "Großauftrag für 100 Generatoren" und Baufortschritte der ersten eigenen Windkraftanlage P3000: "Hightech made in Itzehoe." Oder das Sommerfest am Firmenstandort Itzehoe, gut eine halbe Autostunde von Hamburg entfernt: Die Liveband habe einige der 5000 Besucher zum Tänzchen animiert. Riesenschwenkgrill und Kuchenbuffet seien "leer gefuttert" worden. Fazit: "Schön war's".
Gute Nachrichten hören Anleger besonders gern, und Prokon-Chef Carsten Rodbertus weiß, wie er sie unters Volk bringt. Die Webseite ist nur ein Beispiel. Werbeveranstaltungen und Rundbriefe, dazu eine omnipräsente Reklame: in öffentlichen Bussen und Bahnen, im Fernsehen zur besten Sendezeit, Wurfpost in unzähligen Briefkästen. Das alles erzielt die gewünschte Wirkung. Inzwischen haben gut 68.000 Anleger insgesamt mehr als 1,2 Milliarden Euro investiert. Auch das verkündet Prokon auf seiner Webseite. Der Erfolg spornt offenbar an. Denn Prokon will jetzt das ganz große Rad drehen. "Vorläufiges Zeichnungsziel: 12 Milliarden Euro."
Eine Nachricht allerdings fehlt zurzeit auf der Webseite – allerdings eine sehr wichtige. Eine, die Zigtausenden Sparern Aufschluss darüber geben könnte, ob ihr Geld gut angelegt ist oder nicht. Vor Monaten hat Prokon einen testierten Konzernabschluss angekündigt, aus dem Analysten und Anleger die Finanzsituation der Firma wirklich ablesen können. Der im März in einem Gespräch mit der "Welt am Sonntag" angekündigte Termin, der 31. Mai dieses Jahres, ist jedoch verstrichen.
Nun, weitere zwei Monate später, warten die Anleger noch immer auf die Veröffentlichung des testierten Konzernabschlusses. Die "Welt am Sonntag" wollte von Prokon wissen, wie die Verzögerung zu erklären ist und wann der testierte Konzernabschluss denn tatsächlich veröffentlicht wird. Prokon hat die Frage nicht beantwortet. Auch Prokons Wirtschaftsprüfer von Take Maracke & Partner in Kiel wollten sich mit Verweis auf die "gesetzlich normierte Verschwiegenheitspflicht" nicht äußern.
Statt des angekündigten Abschlusses hat Prokon am 31. Mai lediglich ein eine DIN-A4-Seite umfassendes Papier mit ein paar Geschäftszahlen auf seine Homepage gestellt. Titel: "Entwurf der Erstkonsolidierung". Abgesehen davon, dass das deutsche Handelsrecht ein Dokument dieses Namens nicht vorsieht: Der "Entwurf" wirft nach Auffassung von Bilanzexperten mehr Fragen auf als er beantwortet. "Es handelt sich nicht um den Konzernabschluss für 2012, sondern um eine vorläufige Bilanzskizze, es fehlen zudem Gewinn-und-Verlustrechnung, Anhang und Lagebericht. Daran kann ich nicht erkennen, wie es dem Unternehmen wirtschaftlich geht", sagt Michael Olbrich, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung der Universität des Saarlandes. Vor allem die Gewinn- und Verlustrechnung wäre wichtig, um zu erfahren, ob der Konzern im vergangenen Jahr schwarze oder rote Zahlen geschrieben hat.
Zu einem sehr ähnlichen Urteil kommt Uwe Bock, Professor für Finanzcontrolling an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden : "Auf Basis dieser spärlichen und undifferenzierten Datenlage kann ich keine verbindlichen Aussagen und Einschätzungen zur finanziellen Situation von Prokon vornehmen." Beide Professoren haben sich auf Bitten dieser Zeitung den "Entwurf der Erstkonsolidierung" angesehen und sind auf einige Merkwürdigkeiten gestoßen.
Das beginnt schon beim Datum. Zwar kündigt Prokon im Internet an, "dass wir für das Geschäftsjahr 2012 zum ersten Mal einen konsolidierten Konzernabschluss erstellen". Der auf der Webseite verlinkte Entwurf ist jedoch "per 1.1.2012" datiert, also noch zu Beginn des Geschäftsjahrs 2012. Sind die Zahlen also die des Geschäftsjahres 2011 oder des Geschäftsjahres 2012? Eine Erklärung liefert Prokon auch auf Nachfrage nicht.
Zudem listet das Papier die Bilanzposten ohne nähere Erläuterungen auf – als wären die Zahlen selbsterklärend. "Das sind sie aber nicht, deswegen verlangt das Handelsgesetzbuch beim Konzernabschluss einen Anhang", sagt Olbrich. Viele der Angaben ließen deshalb keine Beurteilung zu. Ein Beispiel: Prokon weist 718 Millionen Euro Genussrechtskapital aus, also Geld der Anleger. Offen bleibt, wann Prokon diese Gelder den Anlegern zurückzahlen muss. "Der Ausweis des Genussrechtskapitals ist kritisch zu sehen, da es eine Mischform zwischen Eigen- und Fremdkapital darstellt und die konkreten Vertragsbeziehungen zwischen Prokon und Genussscheininhaber insbesondere die Laufzeiten nicht erkennbar sind", sagt Wirtschaftswissenschaftler Bock. Der bislang fehlende Anhang müsste detailliert beantworten, wann die Anleger ihr Kapital zurückfordern können.
Über mehr Informationen zu den Bankkrediten würden sich Anleger wahrscheinlich ebenfalls freuen. Deren Gesamtvolumen beträgt 171 Millionen Euro. Dem "Entwurf" zufolge übertreffen die Gesamtverbindlichkeiten von 288 Millionen Euro das Umlaufvermögen von 162 Millionen Euro bei Weitem. Anders ausgedrückt: Den Schulden stehen vergleichsweise wenige Vermögenswerte gegenüber, die sich kurzfristig in Geld umwandeln ließen. "Wenn diese Zahlen stimmen, dann halte ich das für eine gefährliche Schieflage", sagt Olbrich.
Rund 1,1 Milliarden Euro sind bei Prokon in Sachanlagen gebunden. Etwa die Hälfte davon, 651 Millionen Euro, in technischen Anlagen und Maschinen, dazu kommen 110 Millionen Euro, die in Grundstücken und Bauten stecken. Geleistete Anzahlungen und Anlagen im Bau werden mit 342 Millionen Euro bilanziert. Um diese Gelder freizusetzen, könnte Prokon allerdings die Sachwerte – beispielsweise Windparks – verkaufen. Diese Möglichkeit würde Firmenchef Rodbertus "in der Seele wehtun", wie er in einem Interview gesagt hat.
Die Professoren kritisieren vor allem die Informationspolitik des Unternehmens. "Wenn es dem Unternehmen angeblich gut geht, kann ich nicht verstehen, warum es den belastbaren Konzernabschluss nicht veröffentlicht, sondern nur ein paar Kennziffern ohne nennenswerte Aussagekraft", sagt Olbrich. "Weil die einzelnen Positionen nur sehr grob dargestellt werden, ist die Aussagekraft gering beziehungsweise fast nicht vorhanden", sagt Bock.
Echte Transparenz wäre vor allem deshalb wichtig, weil Prokon-Anleger ein hohes Risiko eingehen. Sie halten keine Anteile, sondern erwerben Genussrechte. Sie bekommen einen Teil des Gewinns, den die Firma macht – falls sie einen macht. Anders als Aktionäre dürfen sie aber nicht mitreden oder abstimmen. Bei Firmenpleiten sind Genussrechtsinhaber die letzten Gläubiger, die bedient werden, nach Banken, Zulieferern, Geschäftspartnern oder Mitarbeitern. Genussrechte gehören zum schwach regulierten grauen Kapitalmarkt.
Je höher das Risiko ist, umso wichtiger ist das Vertrauen der Anleger in die Firmenführung. Vielleicht reagiert Prokon deshalb empfindlich auf kritische Berichterstattung. Auch die "Welt am Sonntag" hat die Streitfreudigkeit der Itzehoer schon erfahren. Nachdem die Zeitung im April über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck gegen den Firmenchef, über Pannen und Schadensersatzklagen gegen das Unternehmen berichtete, versuchte Prokon, sechs Passagen gerichtlich verbieten zu lassen. Das Gericht gab Prokon nur bei einer kurzen Textstelle recht.
Etwa zeitgleich mit diesem Rechtsstreit entschied sich Prokon, Journalisten zukünftig grundsätzlich zu ignorieren. "Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie in Zukunft in Medienberichten über Prokon lesen: Von Prokon gab es dazu keinen Kommentar", schrieb die Windkraftfirma auf der Webseite und kündigte an, "für Presseanfragen nicht mehr zur Verfügung zu stehen". Anders als beim konsolidierten Konzernabschluss für 2012 hat sich Prokon an diese Ankündigung bislang wirklich gehalten.
Alle Fragen der "Welt am Sonntag" zum merkwürdigen "Entwurf der Erstkonsolidierung" ließ die Geschäftsführung unbeantwortet.
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