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Prokons Pleite

Die Windmacher

Die Windmacher

Die Energiewende ist ein Milliarden-Geschäft für Firmen, die sauberen Strom und tolle Renditen versprechen. Doch eine der größten von ihnen, Prokon, steckt nach Recherchen der "Welt am Sonntag" in Nöten: Pannen, Schadenersatzklagen, ermittelnde Staatsanwälte

Carsten Rodbertus schließt die Tür hinter sich, auf ihn warten sein Justiziar und zwei Männer, die er nicht kennt. Rodbertus gibt den beiden Männern die Hand, nicht nachgiebig und nicht zu fest, er lächelt ein schmales Lächeln. Ein langer Tisch füllt den Raum, darauf steht ein Aufnahmegerät, eine Filmkamera ist aufgebaut. Rodbertus will jedes Wort dokumentieren, das hier in den nächsten Stunden gesprochen wird. Es geht um viel.

Carsten Rodbertus, 52, die grauen Haare zum Zopf gebunden, ist Windunternehmer und seit Jahren sehr erfolgreich. Deutschland will seine Atomkraftwerke stilllegen, die Energiewende ist längst zu einem gigantischen Markt für Solarfirmen und Windkraftunternehmen geworden. Und Rodbertus Firma ist eine der größten, "der Marktführer", so nennt sie sich selbst. Millionen Deutsche kennen ihren Namen: Prokon. Aus U-Bahnen, aus Werbefilmen, die im Fernsehen vor der "Tagesschau" oder in den "Sportschau"-Pausen laufen, oder weil sie schon mal Post von Prokon bekommen haben. "Es ist Zeit, etwas zu verändern ... und das lohnt sich!" Rodbertus verspricht sauberen Strom und schöne Renditen, mindestens sechs Prozent, es waren sogar mal acht. Das zahlt heute kaum noch jemand. So hat er rund 60.000 Deutsche überzeugt, ihm ihr Geld anzuvertrauen, mehr als eine Milliarde Euro.

Aber Rodbertus hat ein Problem, das sein Misstrauen erklärt. Den Justiziar, das Aufnahmegerät, die Kamera. Es ist, als fühle er sich von Feinden umzingelt, selbst in der Zentrale seiner Firma, einem Bau aus viel Holz und Glas. Umzingelt von den mächtigen Energiekonzernen, von gierigen Bankern und vor allem den Medien, die immer nur schlecht über ihn berichten, wie er findet.

Rodbertus sitzt, die Arme vor dem Bauch verschränkt. Der Justiziar schaltet das Tonbandgerät ein, die Kamera läuft. Rodbertus sagt: "Bisher vermisse ich die Ernsthaftigkeit der Medien." Trotzdem hat er einem Gespräch mit zwei Reportern der "Welt am Sonntag" zugestimmt. Obwohl er weiß, dass sie unangenehme Fragen an ihn haben. Sie haben ein paar Dinge herausgefunden. Zum Beispiel, dass die Staatsanwaltschaft Lübeck gegen ihn ermittelt. Dass eine Lawine von Schadenersatzforderungen auf ihn zurollt, losgetreten von Kunden und ehemaligen Anlegern. Es geht um fast acht Millionen Euro. Außerdem werfen Prokons Bilanzen und Ereignisse der vergangenen Monate die Frage auf, wie seriös eigentlich sein Geschäftsmodell ist.

Rodbertus wird reden, aber er stellt eine Bedingung. Er will alles aufnehmen und ins Internet stellen dürfen. Er will das Gefühl haben, die Kontrolle zu behalten. Er steht ja mitten in einem zähen Kampf. Es geht darum, wer die Deutungshoheit über sein Lebenswerk hat. Rodbertus oder die anderen.

Wenn Rodbertus die Geschichte seiner Firma erzählt, klingt sie ein bisschen nach Hollywood. Als Mitte der 80er-Jahre in Tschernobyl ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt, beschließt ein junger Buchhalter aus Hamburg , die Welt zu verändern. Er zieht aufs Land, pachtet einen Acker und lässt dort seine ersten beiden Windräder aufstellen. Mitte der 90er gründet er in Itzehoe, eine halbe Autostunde von Hamburg entfernt, seine eigene Firma: Prokon. Sie soll Windparks entwickeln, finanzieren, betreuen. Die Firma wächst, der Chef erscheine barfüßig zu Terminen, heißt es. Doch Wind reicht Rodbertus irgendwann nicht mehr. Er steigt bei zwei Firmen ein. Die eine stellt Diesel aus Rapsöl her, die andere verarbeitet Holz zu Paletten.

Diese Geschichte ist Rodbertus' Kapital. Er, der geschäftsführende Gesellschafter, fährt mit seinem Dacia Duster quer durch die Republik, um sie abends im Erdgeschoss irgendeines Hotels zu erzählen, wieder und wieder. So wirbt er neues Geld für seine Firma ein. Diese Abende, bis zu 70 im Jahr, ähneln einander. Rodbertus und gut 300 Zuhörer: Familienväter, Mütter, Tanten, Onkel, Großväter und Großmütter, die er zu Anlegern machen will. Wie kaum ein anderes Unternehmen hängt Prokon davon ab, dass man ihm vertraut. Die Firma lebt von dem Geld, das Privatleute in eine grüne Zukunft investieren wollen. Es ist ein wichtiger Teil der Finanzierung.

Transparenz, das ist eines der heiligen Worte, mit denen Carsten Rodbertus durchs Land zieht wie ein Wanderprediger. Kaum ein Wort benutzt er so oft, ob er zu Anlegern spricht oder mit Journalisten. "Gerade die Fragerunden sind natürlich offen und frei. Sind transparent." Umso merkwürdiger ist es, dass die Transparenz oft endet, wenn es richtig interessant wird. Und das ist die zweite Geschichte. In ihr spielt Rodbertus nicht die Rolle des strahlenden Helden.

Diese Geschichte beginnt mit Prokons Bilanzen. Sie stehen im Internet oder in Broschüren, es sind sehr viele Zahlen. Andere Unternehmen handhaben es ähnlich. Dumm nur, dass man an Prokons Zahlen nicht ablesen kann, wie es der Firma geht. Selbst ausgewiesene Experten können das nicht, das macht sie skeptisch. Jörg Baetge zum Beispiel. Der Professor hat mehr als 500 Aufsätze und Bücher über Firmenbilanzen geschrieben. Seine Firma erstellt Analysen und Gutachten. Er hat sich die Prokon-Zahlen des Jahres 2011 angesehen. Sein Urteil: "Intransparente Unternehmensstruktur mit vielen Einzelgesellschaften". Zwar erstelle jede für sich Jahresabschlüsse. Doch da die Gesellschaften untereinander Geschäfte machten, ergäben sich "in den Einzelabschlüssen teilweise fiktive Gewinne". Diese Gewinne würden sich mit Verlusten anderer Gesellschaften ausgleichen, wenn alle Einzelabschlüsse in einem geprüften Konzernabschluss zusammengefasst würden. Doch "diese Information fehlt indes bislang vollständig", sagt Baetge. Fiktive Gewinne, Buchungsschubsereien. Das bedeutet so ziemlich das Gegenteil von transparent.

Rodbertus nickt. Er räumt das selbst ein, zumindest teilweise. "Wir waren vorher bis zu 100 Gesellschaften", für fast jeden Windpark eine, sagt er. Im vergangenen Jahr habe er die Unternehmensgruppe "auf fünf Gesellschaften reduziert". Jetzt sei es einfach, durchschaubar. Bis Sommer will er außerdem einen aussagekräftigen Konzernabschluss für das Jahr 2012 vorlegen, wie Baetge ihn für nötig hält. Die Wirtschaftsprüfer seien gerade im Haus.

Mindestens bis dahin müssen seine Anleger also selbst herausfinden, ob Prokon seine gut klingenden Versprechen hält. Das ist üblich am grauen Kapitalmarkt, bei riskanten Geldanlagen. Und fast immer unmöglich. Prokons Anleger müssten dafür an Orte fahren, die sie wohl nur aus den Werbeprospekten kennen; und zu Menschen, die Rodbertus ganz anders kennengelernt haben als seine Anleger. Aber wer tut das schon, selbst wenn er – wie der Durchschnitt – 15.000 Euro bei Prokon anlegt? Die "Welt am Sonntag" hat es getan.

Das Ergebnis der Recherche ist, dass Prokon in allen drei Geschäftsbereichen erhebliche Probleme hat: Probleme beim Betrieb und dem Bau neuer Windparks, mit dem Biodiesel und der Biomasse.

Prokons wichtigstes Geschäft ist das mit dem Wind. Doch die Windparks spielen viel weniger Geld ein als kalkuliert. Das war im vergangenen Jahr so. "Wir haben schon schönere Windjahre gehabt", sagt Rodbertus. Wer sich die Daten ansieht, stellt fest, dass selbst die guten Windparks hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Erfüllt oder mal übertroffen haben sie sie selten.

Bis Ende 2008 lagen mindestens 22 der 31 deutschen Windparks unter der Vorhersage, mit der Prokon um Anleger geworben hatte. Sechs dieser Parks erzeugten 15 Prozent weniger Strom als kalkuliert. Diese Zahlen hat Prokon mal selbst zusammengestellt. Ein Anleger, der nachgerechnet hatte, kam zu dem Schluss, dass Prokon 40 Millionen Euro fehlen müssten. Er wandte sich an andere Investoren. Das war Anfang 2009. Prokon reagierte prompt. Die schönen, transparenten Prognosezahlen verschwanden aus dem Netz. Neuere sind von Prokon nicht zu bekommen.

Etwa zu dieser Zeit, 2009, hatte Rodbertus einigen Ärger mit seinen Geldgebern. Die hießen damals noch Kommanditisten und konnten mitbestimmen, zum Beispiel auf Gesellschafterversammlungen. Es waren Männer wie Günther Beckstein, der wenig später bayerischer Ministerpräsident wurde, oder Klaus Boe, ein ehemaliger Motorradhändler mit Walross-Bart. Man findet Boe heute in einem kleinen Ort im Sauerland, in einem Fabrik-Flachbau, zwischen knallroten Ferrari und einem gelben Lamborghini. Und meist mit einer Elektrozigarette im Mundwinkel. In seinem Büro steht eine ganze Batterie von Ordnern: die Akte Prokon. Boe ist derjenige, den Rodbertus als Allererstes meint, wenn er von Anlegern spricht, die den Hals nicht voll genug kriegten. Denn Boe wehrt sich seit Jahren, er klagt oder stellt Strafanzeigen.

Rodbertus hat Prokons Finanzierung umgestellt. Er hat die Kommanditisten aus dem Unternehmen gedrängt. Die Geldgeber halten keine Anteile mehr, sondern erwerben Genussrechte. Das bedeutet, sie bekommen einen Teil des Gewinns, den die Firma macht. Falls sie einen macht. Anders als Aktionäre oder Kommanditisten dürfen sie aber nicht mitreden oder abstimmen. Trotzdem gehen sie ein großes Risiko ein. Sollte die Firma pleitegehen, dann sind sie die letzten Gläubiger, die bedient werden. Nach Banken, nach Windradherstellern, nach den Mitarbeitern. Es kann also sein, dass die Anleger alles Geld verlieren, vielleicht Zigtausende Euro.

"Die entscheidende Frage", sagt Boe, "ist, ob Prokon genug Geld verdient, um seinen Anlegern die versprochenen Zinsen zu bezahlen."

Die gesamte Windbranche hat damit zu kämpfen, dass sich ihre Prognosen nicht erfüllt haben. Aber es gibt Unterschiede, von denen Experten zufolge viel abhängen kann. "Wenn Sie nur 80 Prozent des kalkulierten Windstroms erzeugen und das über Jahre und mit einer Reihe von Projekten, dann haben Sie ein sehr ernstes Problem", sagt Werner Daldorf. "Das ist eine Größenordnung, in der eine Insolvenz drohen kann." Daldorf ist Steuerberater, er kennt das Geschäft gut. Seit 20 Jahren betreibt er selbst einen Windpark. Außerdem gehört er einem Gremium an, das im Bundesverband Windenergie, einem mächtigen Zusammenschluss der Windfirmen mit Sitz in Berlin , Anleger vertritt.

Die Windparks, die Prokon schon betreibt, sind nur ein Teil des Problems. Denn die Firma hat erhebliche Schwierigkeiten, neue Windparks zu bauen. Auf Feldern in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Niedersachsen sollten sich längst neue Windräder drehen. Zumindest sollten dort Kräne stehen, um die grauen Türme in die Landschaft zu stellen. In Iven etwa, in Barnstorf oder Ovelgönne. Drei große, für Prokon wichtige Standorte.

Auf den Feldern südlich von Iven, 200 Einwohner, in Mecklenburg-Vorpommern sollten 25 besonders leistungsstarke Windräder stehen. So jedenfalls hat es Prokon vor zwei Jahren angekündigt. Doch die Felder sind leer, der Horizont ist frei, Bagger und Kräne sind nicht zu sehen. Stattdessen stehen ein paar Kühe im Schlamm. Die Gemeinde hat gegen die geplanten Parks geklagt und vor ein paar Tagen recht bekommen. Ob es hier jemals Windräder geben wird, ist offen.

Barnstorf, Niedersachsen. Dort wollte Rodbertus einen Windpark mit zehn Rädern bauen. Offenbar ohne eine Genehmigung. Jedenfalls sagt der stellvertretende Bürgermeister: "Warum die Firma Prokon diese Fläche immer noch auf ihren Webseiten ausweist, ist uns ein Rätsel." Auf der Fläche sei kein Windpark vorgesehen, das ändere sich auch nicht.

Ovelgönne, etwa eine Autostunde von Barnstorf entfernt. Dort waren zwei Parks mit 24 Windrädern geplant. Doch der Bürgermeister winkt ab. Die Einwohner seien dagegen, sie hätten einflussreiche Verbündete: die Blässgans, die Pfeif- und die Krickente. Die Flächen, auf die Prokons Windmühlen sollen, seien international bedeutsam für Rastvögel. Das behaupten nicht radikale Naturschützer, es steht in einem Gutachten der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr. Die Behörde hat es genau untersucht. Denn Prokons Wunsch-Windparks liegen direkt neben der Trasse der geplanten Autobahn A20.

Drei Beispiele. Drei Parks, in die Prokon schon 27 Millionen Euro Anlegergeld gesteckt hat; so stand es noch im April 2012 auf Prokons Internetseite. Drei Gründe dafür, warum Prokon im vergangenen Jahr in Deutschland kein einziges Windrad ans Stromnetz angeschlossen hat. Dabei sollten es 24 werden und "ab 2012" noch einmal 84. Der letzte Prokon-Windpark in Deutschland aber wurde im Juni 2011 fertig. Das ist fast zwei Jahre her. Für die meisten der nicht gebauten Parks gibt es jetzt neue Termine. "Ab 2013". Oder "ab 2015." Es geht um 108 Windräder, 14 Parks, 315 Megawatt Leistung. Sie könnten genug Strom für 190.000 Haushalte liefern, genug für eine Stadt wie Mannheim.

Im Besprechungsraum seiner Firmenzentrale sitzt Rodbertus und sagt, er habe dafür ja in Polen 23 Windräder aufgestellt, verteilt auf kleinere Parks. Und es gehöre eben zum Geschäft, dass auch mal etwas schiefgeht.

Ja, mal.

Es gibt eine Faustregel in der Branche. Wer zehn Windparks bauen will, sollte anfangen, 100 zu planen. Denn es gibt immer Schwierigkeiten, Widerstände oder Konkurrenten, die einem Bauern mehr Pacht für seinen Acker zahlen. Wer aber in einer späten Phase der Vorbereitung steht, ein Jahr oder ein halbes Jahr vor dem geplanten Baubeginn, dem sollten von zehn Windparks höchstens ein oder zwei ernste Probleme bereiten. Sonst hat er grobe Fehler gemacht, die ihn teuer zu stehen kommen. Denn es ist geplant, verhandelt, projektiert worden. Mitarbeiter müssen bezahlt, Kredite der Banken bedient werden.

In der Prokon-Zentrale, konfrontiert mit den ungewöhnlich vielen Verzögerungen, sagt Rodbertus, es sei 2012 einfach kein Geld mehr für Windparks übrig gewesen. Prokon habe im Januar vergangenen Jahres Sondertilgungen vorgenommen, habe 90 Millionen Euro an Banken zurückgezahlt. Er stellt es so dar, als sei er es gewesen, der die Banken loswerden wollte. Wahrscheinlich stimmt das sogar, er mag sie ja nicht. Es war allerdings auch so, dass die Banken seine Idee nicht mochten, die bis zu 100 Windparkgesellschaften zu einer Handvoll Firmen zu verschmelzen.

Für eine Bank ist es ein Unterschied, ob sie einen einzelnen Windpark mit kalkulierbarem Risiko als Sicherheit hält oder den Anteil an einer komplizierteren Gesellschaft, die erfolgreiche und nicht erfolgreiche Windparks und andere Geschäftszweige vereint. Also wollten die Banker das Geld zurück, das sie Rodbertus geliehen hatten, zuzüglich Zinsen natürlich.

Diesen Teil der Wahrheit versteckt Rodbertus in einer langen, gewundenen Antwort. Er sagt, die Banken seien "unzufrieden" mit Prokons Plänen gewesen. Er sagt außerdem, dass fast alle Banken darauf verzichtet hätten, eine Vorfälligkeitsentschädigung zu verlangen, eine Art Vertragsstrafe. Man kann das, wie Rodbertus, als Zeichen eines besonderen Verhandlungsgeschicks werten. Oder als Beleg dafür, dass die Banken froh waren, die Verträge schnell zu lösen, und deshalb auf Geld verzichtet haben.

Ein paar Menschen mit gutem Einblick in Prokons Geschäfte halten die Sache mit den Krediten bloß für vorgeschoben. Die angekündigten Windparks habe Rodbertus vor allem deshalb nicht gebaut, weil Prokon Probleme mit seinen Planungen habe. Und das schon länger. Vor acht Jahren trennten sich Rodbertus und sein damaliger Geschäftspartner. Der gründete seine eigene Windfirma, er nahm fast 30 Mitarbeiter mit, viele waren Planer. "Davon hat Prokon sich bis heute nicht erholt", sagt einer, der damals alles miterlebt hat.

Man muss viel Zeit aufwenden, um Prokons Probleme zu erfahren. Die ganze Wahrheit jedenfalls erfährt man nicht von Rodbertus und seinen Leuten. Sie steht nicht in Werbeflyern, nicht in den Prospekten und auf den Internetseiten. Man erfährt sie auch nicht auf den Verkaufsveranstaltungen.

Über Berlin liegt eine dicke weiße Schneedecke, es ist ein kalter Februarabend. Im Erdgeschoss des Mövenpick-Hotels im Stadtzentrum tragen Helfer stapelweise neue Stühle in einen großen Saal. Die 300, die schon aufgestellt waren, reichen nicht. Vor den Türen sammeln sich Menschentrauben. Die Messe findet dieses Mal ohne den Wanderprediger statt. Es ist einer der wenigen Abende, an denen Rodbertus nicht selbst auftritt. Sein Verkaufsleiter vertritt ihn, ein grauhaariger Mann, mit breitem Kreuz, Bauch und mächtigem Schädel.

Der Abend läuft eine ganze Weile gut für ihn, er erzählt, wie Rodbertus Prokon gegründet hat. Dass der Ökoenergie die Zukunft gehöre. Dem Wind. Dem Biosprit. Der Biomasse. Auch wenn es vielleicht mal das eine oder andere kleine Problem gebe.

Rodbertus hat eine Ölmühle in Magdeburg gekauft, das war im Jahr 2010. Die Investition ist, salopp gesagt, bisher ein ziemlicher Flop. Der Markt für Biodiesel ist seit Jahren rückläufig. Für 2011 weist die Bilanz der Mühle rund 21 Millionen Euro Verlust aus. Trotzdem hat Prokon 70 Millionen Euro in die Erweiterung des Werks gesteckt. Seit einem Jahr soll eine teure neue Maschine mehr Öl aus dem Raps pressen. So erklärt es der Verkaufsleiter im Mövenpick-Hotel, er klingt stolz. Er sagt nur nicht, dass die neue Maschine einen Totalausfall hatte. Sie steht seit Dezember still. Futtermittelhändler bekamen plötzlich keinen Rapsschrot mehr, ein Nebenprodukt der Ölgewinnung. Rodbertus konnte die Verträge nicht einhalten. Nun fordern sie sieben Millionen Euro Schadensersatz.

Das kleine Aufnahmelicht des Diktiergeräts in der Firmenzentrale leuchtet noch, die Filmkamera läuft. Rodbertus müht sich nicht, die Panne abzustreiten. Er sagt: "Wir werden in der Bilanz Rückstellungen bilden. Das wird sich auch negativ auf die Bilanz auswirken. Wir stellen das allerdings zurzeit strittig." Das klingt nach einem Fall fürs Gericht.

So viel zum Biosprit, Prokons zweitem Geschäftsfeld. Bleibt noch, drittens, das Geschäft mit der Biomasse.

Da, sagt Rodbertus' Verkaufsleiter im Mövenpick-Hotel, laufe leider derzeit nicht alles rund. An der Wand hinter ihm werden ein paar Zahlen eingeblendet. "30.000 Paletten am Tag", sagt der Verkaufsleiter, "eigenes Biomasse-Heizkraftwerk und zwei weitere im Bau". Prokon habe Wälder in Rumänien gekauft, viel Holz also, und das Werk in Torgau werde noch dieses Jahr erweitert.

Wirklich?

In einem prachtvollen Renaissance-Schloss in der Mitte Deutschlands, dem Schloss Hartenfels in Torgau, arbeitet ein Mann, den man sich in Filmen gut als Landadligen vorstellen könnte oder als Mafiaboss. Michael Czupalla, 63, die weißen Haare streng nach hinten gegelt, Schnauzer, Maßanzug und Einstecktuch. Czupalla ist Landrat und ziemlich mächtig. Der Landkreis Nordsachsen boomt, Leipzig ist nicht weit. Die Ansiedlungen von Porsche, BMW, DHL, der Ausbau des Flughafens, das alles habe auch mit ihm zu tun, sagt Czupalla.

Seit einiger Zeit aber hat er Ärger mit einem Unternehmen, das ein enger Partner von Prokon ist: der HIT Holzindustrie Torgau OHG, 580 Mitarbeiter, knapp 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Mindestens so viel Geld hat Prokon in diese Firma investiert. Sie produziert unter anderem Paletten, Bretter, Sägespäne. Die beiden Chefs liefern sich einen harten Kampf mit den Verwaltungen. Er ist eskaliert. Im Kern geht es um ein Biomasse-Blockheizkraftwerk. Es soll Rinde verbrennen und so Wärme zum Trocknen der Paletten und zugleich Strom erzeugen, den die Betreiber für den im EEG vom Staat garantierten Preis verkaufen wollte. Das Heizwerk war fast fertig, da stoppte der Landkreis die Bauarbeiten.

"HIT ist zuletzt sehr schnell gewachsen, es wurde ein Bebauungsplan nötig, aber sie fingen an, ein Heizkraftwerk ohne Genehmigung zu errichten", sagt Czupalla. Deshalb hätten der Landkreis und die Stadt Torgau eingreifen müssen.

Schikane, sagen die Firmenchefs. Sie berufen sich auf mündliche Zusagen der Verwaltung. Kurz vor Weihnachten haben sie die 100 für das Heizkraftwerk eingestellten Leute wieder entlassen. In der Lokalzeitung forderten sie kürzlich den Rücktritt des Landrats.

Dass Prokon diese Firma als wegweisende Zukunftsinvestition preist, ist erstaunlich. Es ist derzeit nicht sicher, ob das Biomasse-Heizkraftwerk je ans Netz gehen wird. HIT verliert im Moment jeden Tag bis zu 60.000 Euro.

In der Firmenzentrale, in Itzehoe, sagt Rodbertus: "Das ist natürlich für uns ein wirtschaftlicher Schaden." Er will Schadenersatz vom Landkreis, einen Betrag mit sieben oder acht Ziffern, mehrere Millionen Euro also. Er glaubt, dass seine Chancen gut stehen. Das gilt offenbar nicht für alle juristischen Schlachten. Und da gibt es noch ein paar, die Rodbertus derzeit beschäftigen.

Da sind die Futtermittelhersteller. Da sind die ehemaligen Teilhaber, die Kommanditisten, die Geld wollen. Klaus Boe, der Autoliebhaber aus dem Sauerland, war der erste, der eine Schadenersatzklage beim Landgericht in Itzehoe eingereicht hat. Der erste von 17. Sie sind zuversichtlich, nachdem ein Oberlandesgericht in Boes Fall festgestellt hat, dass er einen Anspruch hat. Jetzt geht es noch um die Höhe. Insgesamt könnte Prokon noch einmal bis zu 600.000 Euro zahlen müssen. Rodbertus kann sich die Schlagzeilen vorstellen. Eine Firma, die Kunden und Anlegern Schadenersatz zahlen muss. Nicht schön. Jedenfalls ist er in beiden Fällen den Gegnern entgegengekommen. "Es gibt nicht einen Anleger, der bei uns Verlust gemacht hat", sagt er. Doch er hat den Kommanditisten Vergleichsangebote gemacht, mit einem hat er sich geeinigt. Den Futtermittelhändlern hat er angeboten, drei Viertel der sieben Millionen zu zahlen. Zwei seien darauf eingegangen.

Und dann gibt es noch die Staatsanwaltschaft Lübeck, die in zwei Fällen gegen Rodbertus ermittelt. In einem geht sie dem Verdacht des Betrugs nach. Im anderen prüft sie, ob Prokon eine Kreisverwaltung bestochen hat. Ein Sprecher bestätigt die Recherchen der "Welt am Sonntag". Und auch, dass es schon in den vergangenen Jahren Ermittlungen gegen Rodbertus gab, insgesamt fünf Verfahren wegen Betrugs. Die seien alle eingestellt worden, sagt der Sprecher. Der Verdacht habe sich nicht erhärtet. Von den beiden aktuellen Ermittlungen weiß Prokon nichts. Man könne "nur mutmaßen", lässt Rodbertus nach dem Gespräch mitteilen.

Es kommt einiges zusammen. Ein Mann, der überzeugt ist, das Richtige zu tun und zu einem Protagonisten der deutschen Energiewende geworden ist. Seine Firma hat Probleme, die er selbst zu verantworten hat. Und er ist Teil einer Branche, die sich verändert. Ein paar schöne Illusionen sind auf der Strecke geblieben. Aus Pionieren von einst sind knallharte Geschäftsmänner geworden. Neue Firmen drängen auf den Markt, und Investoren, die Renditen sehen wollen. Es gibt zig Milliarden zu verdienen. Deshalb ist es nicht ausgeblieben, dass landauf, landab Polizisten und Staatsanwälte wegen Betrugs und ähnlicher Delikte ermitteln. Und schon bald kann es für die vielen aufrichtigen Firmen eng werden. Die Bundesregierung will den garantierten Preis kürzen, den Windfirmen für ihren Strom erhalten. Die Solarbranche hat gerade erlebt, was das heißt.

Rodbertus ist ein zugänglicher Mensch, das Gespräch in seinem Büro verläuft fast harmonisch, wenn man bedenkt, um was es geht. Er hat auf jede Frage eine Antwort, meistens eine lange. Was er trotzdem nicht hat, ist eine plausible Erklärung, eine wirkliche Antwort auf die entscheidenden Fragen: Können so viele Pannen wirklich noch Zufall sein? Sprechen sie nicht eher dafür, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt?

Diese Fragen führen noch einmal zurück, in Prokons Bilanzen. Es sieht so aus, als wäre bei Prokon vieles eine Frage der Bilanzierung. Aus den Zahlen für die ersten zehn Monate des vergangenen Jahres jedenfalls geht hervor, dass die Gruppe nach den Zinsausschüttungen tief in den roten Zahlen gelandet wäre. Wenn, ja wenn das Unternehmen nicht einen Posten "Rücklagen aus stillen Reserven" verbucht hätte: einen Gewinn von fast 31 Millionen Euro. Das ist zufälligerweise ziemlich genau der Betrag, der nötig war, um den Anlegern die versprochenen Zinsen zahlen zu können.

Aber dieses Geld gibt es nicht real, es existiert nur auf dem Papier. Denn es steckt vor allem in den Windparks. Prokon müsste sie verkaufen, bevor Rodbertus seinen Anlegern sechs Prozent Zinsen auszahlt. Oder nicht? Rodbertus wischt diesen Einwand beiseite, eigentlich mit einem Wort: Sachwert. Die Parks seien ein Wert an sich. "Und wenn ich diese stille Reserve auch benutze, um letztendlich mit neuem Anlagegeld auch auszuzahlen", sagt er, "dann halte ich das nicht für ein Schneeballsystem, sondern für eine faire Bewertung."

In der ersten Konzernbilanz, die es ja im Sommer geben soll, sollen die stillen Reserven sogar noch wichtiger werden. Rodbertus rechnet mit einem "guten dreistelligen Millionenbetrag". Sein Justiziar mischt sich ein. Dafür werde Prokon die fertigen und die angefangenen Windparks "noch mal wieder neu bewerten". Und zwar ab dem 1. Januar 2012.

Man darf gespannt sein, ob es so kommt. Das entscheiden die Wirtschaftsprüfer mit, die Rodbertus gerade in der Firma hat. Sie müssen auch die 31 Millionen Euro Gewinn aus den stillen Reserven testieren, die Prokons Jahr 2012 bisher noch annehmbar aussehen lassen. Die Finanzaufsicht des Bundes, die Bafin, prüft nur, ob die Verkaufsprospekte in Ordnung sind. Geschäftsberichte und Bilanzen prüft sie nicht.

Trotz allem war Rodbertus in den vergangenen Monaten sehr erfolgreich. Seine Werbemaschine funktioniert tadellos. Er fährt ja nicht nur quer durchs Land. Auf dem Hungrigen Wolf, einem alten Militärflugplatz, keine zehn Autominuten von seinem Haus entfernt, lässt er in einer eigenen Druckerei Werbebriefe drucken, die er bundesweit verschickt. Dazu die Reklame auf Plakatwänden, im Fernsehen. Prokon hat in mehr als 17 Jahren rund 70 Millionen Euro für Werbung ausgegeben. Und Rodbertus hat große Pläne. Er will zehn Milliarden Euro einsammeln, zehnmal so viel wie bisher. Was er mit dem vielen Geld anfangen würde, weiß er noch nicht: "Es gibt keine wirkliche Zielvorgabe."

Im Treppenhaus der Prokon-Zentrale wird es laut. Auf den Fluren stehen und sitzen Dutzende Mitarbeiter. Eine Betriebsversammlung sollte längst beginnen, danach gibt es im Erdgeschoss noch ein Buffet. Der Chef hatte am Wochenende Geburtstag. Rodbertus bittet höflich, zur letzten Frage zu kommen.

Als er die Tür öffnet und nach draußen tritt, klatschen die Mitarbeiter, laut und lange. Für sie ist Rodbertus der Mann, der Großes geleistet und ihre Arbeitsplätze geschaffen hat. Diese Gegend hat nicht viel. Rodbertus gleitet durch den Gang, die Mitarbeiter weichen zurück. Hier in seinem Reich ist es, als könnte er das Meer teilen.

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