Laues Lüftchen
Das neu entwickelte Windrad P3000 ist der Stolz des Itzehoer Windkraftkonzerns Prokon. Die Wunderwaffe der Zukunft, so hofft Firmenchef Carsten Rodbertus. Als er die Maschine Ende August auf einem abgelegenen Acker in Mecklenburg-Vorpommern vorstellte, nahe der polnischen Grenze, kamen 2700 Menschen. Es war eine Feier mit Hubschrauberrundflügen, Segway-Parcours und Hüpfburg. Mittendrin, im orangefarbenen Prokon-Poloshirt und die weiße Mähne zum Zopf gebunden: Rodbertus selbst. Seine Botschaft: drei Megawatt Leistung, Hybridturm aus 110 Tonnen Stahl und 1500 Tonnen Beton, getriebelose Kraftübertragung, Nabenhöhe 142 Meter und digitale Hightech-Steuerung – die P3000 ist das Maß aller Dinge.
Eine Wunderwaffe könnte Prokon derzeit tatsächlich gut gebrauchen. Die Berichte über Pannen und fragwürdiges Geschäftsgebaren wollen nicht enden. Und nun gibt es alarmierende Zahlen ausgerechnet von Prokon selbst: Aktuelle Konzerndaten deuten darauf hin, dass Anleger zunehmend ihr Interesse an dem Windkraftanbieter verlieren. Demnach ist der Einbruch beim Zuwachs des Genussrechtskapitals dramatisch: ein Minus von bis zu 90 Prozent.
Ausgerechnet. Denn die Anleger sind extrem wichtig für Prokons wirtschaftliche Lage. Mit dem Geld von 74.000 deutschen Sparern konnte Rodbertus das Unternehmen zum Konzern ausbauen. Rund 1,36 Milliarden Euro hat Prokon bei ihnen eingesammelt und dafür Genussrechte eingeräumt. Bei dieser Anlage am schwach regulierten grauen Kapitalmarkt bekommen Anleger einen Teil des Gewinns ausgeschüttet – wenn die Firma denn einen macht. Prokon verspricht zwischen sechs und acht Prozent Zinsen. Damit Deutschland möglichst flächendeckend davon erfährt, wirbt das Unternehmen immer wieder mit großen Kampagnen in Bussen und Bahnen, im Fernsehen zur besten Sendezeit und per Wurfpost im Briefkasten. Der Firmenchef fährt mit seinem Dacia Duster persönlich quer durch die Republik, um auf Dutzenden Verkaufsveranstaltungen neue Anleger zu werben.
Nun also hat Prokon auf seiner Internetseite neue Firmendaten veröffentlicht. In den ersten acht Monaten des Jahres 2013 hat der Konzern demnach rund 322 Millionen Euro Genussrechtskapital hinzugewonnen. Das sind rund 40,3 Millionen Euro pro Monat. Im September, Oktober und November kamen aber jeweils durchschnittlich nur noch rund 3,7 Millionen Euro hinzu. Das entspräche einem drastischen Einbruch: 90 Prozent weniger an neu eingeworbenem Geld. Anders ausgedrückt: Prokon bekommt zwar noch frisches Geld, aber plötzlich nur noch ein Zehntel.
Fragen der "Welt am Sonntag" dazu will Prokon nicht beantworten. Es bleibt deshalb offen, wie es zu dieser Entwicklung kommt: ob es immer weniger neue Anleger gibt oder die alten zunehmend ihre Papiere verkaufen. Die Zahlen, die Prokon im Internet als "Teilkonsolidierte Zwischenbilanz" mit dem Stichdatum 31.8.2013 veröffentlicht hat, enthalten allerdings noch eine Reihe weiterer brisanter Informationen.
Fast das gesamte Genussrechtkapital hat eine Restlaufzeit von weniger als fünf Jahren. Viele Anleger könnten also schon bald ihr Geld zurückfordern. Rodbertus muss sie bei Laune halten, sie erneut zum Investieren bewegen und neue Investoren gewinnen. Sonst hat er ein Problem. Die jüngsten Zahlen sind da möglicherweise nicht besonders hilfreich. So erwirtschaftete Prokon im operativen Geschäft in den ersten acht Monaten 2013 rund 22,5 Millionen Euro (Ebitda). Allerdings zahlte die die Firma den Anlegern in diesem Zeitraum 44,3 Millionen Euro an Zinsen. Macht einen Saldo von fast 22 Millionen. Und den insgesamt eingesammelten 1,41 Milliarden Euro aus Genussrechten und Bankkrediten standen zum Stichtag 31. August Vermögenswerte von 1,24 Milliarden gegenüber.
Grund zur Besorgnis sieht die Prokon-Geschäftsführung darin scheinbar nicht. Sie beantwortet zwar keine Fragen, verweist aber auf den hauseigenen Rundbrief, der an die Anleger verschickt wird. "Das Sachanlagevermögen reicht aus, um durch dessen Veräußerung das Genussrechtskapital auf einen Schlag an die Anleger zurückzahlen zu können", steht darin. Prokon meint damit vor allem die 50 Windparks mit 302 Windenergieanlagen. Selbst wenn das Unternehmen nur noch Windparks baue, die sehr weit in der Planung fortgeschritten seien, könne das vorhandene Genussrechtskapital mit der vorgesehenen Grundverzinsung an die Anleger zurückgezahlt werden.
Dass Prokon-Gründer Rodbertus keine Journalisten-Fragen beantwortet, bedeutet auch, dass er seiner jüngsten Linie treu bleibt. Seit Mitte des Jahres spricht er nicht mehr mit den Medien. Nach eigener Darstellung fühlt sich das Unternehmen von Journalisten verfolgt – auch von denen der "Welt am Sonntag". Die Liste der angeblichen Hetzmedien liest sich wie das Who is who des deutschen Wirtschaftsjournalismus: "Handelsblatt", "Wirtschaftswoche", "ZDF Wiso", "ARD Plusminus" und "Stiftung Warentest".
Ganz tatenlos blieb Prokon nach der bisher letzten Anfrage am vergangenen Montag aber doch nicht. Ohne Ankündigung – und nur bei genauem Hinsehen erkennbar – veränderte die Firma die soeben erst veröffentlichten Zahlen auf der Webseite schon wieder. Das Bild sieht seither zumindest ein klein wenig freundlicher aus: Berechnet man den Einbruch beim Zuwachs des Genussrechtskapitals nun erneut, dann fällt die Kurve etwas sanfter ab. Durchschnittlich 39 Millionen im Monat von Januar bis August stehen jetzt jeweils rund 7,8 Millionen in den folgenden drei Monaten gegenüber. Diese Aktualisierung wird allerdings weder erklärt noch begründet. Die "Welt am Sonntag" dokumentiert die unauffällige Zahlenkorrektur im Internet unter http://investigativ.welt.de. Dort sind die Screenshots der Seiten mit den Zahlen vom Montag abrufbar – der alte Stand.
Im Internet erwähnt Prokon eine "laufende Aktualisierung der Unternehmenskennzahlen". Aber für den Anleger heißt das letztlich, dass vermeintlich aktuelle Firmendaten vielleicht schon am nächsten Tag nicht mehr stimmen. Er muss Prokon blind vertrauen und kann das Unternehmen auch nicht zwingen, transparenter zu arbeiten. Denn anders als Aktionäre dürfen Genussrechtsinhaber im Konzern nicht bestimmen. Dabei tragen sie ein hohes Risiko. Bei Pleiten sind sie die letzten Gläubiger, die bedient werden. Vor ihnen sind Banken, Mitarbeiter, Zulieferer oder Geschäftspartner an der Reihe.
Was Anleger vor allem beunruhigen dürfte: Das Geschäftsjahr 2013 endet bald. Der Konzernabschluss für 2012 mit Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Anhang, Lagebericht und Testat durch einen Wirtschaftsprüfer ist noch immer nicht veröffentlicht. Dabei wurde er erst für Mai angekündigt, dann für September. Solche Verzögerungen sind sehr ungewöhnlich für einen Konzern. Und auch daran sollen Journalisten schuld sein. "Mit ihrer medialen Hetzkampagne sorgen die sogenannten 'Investigativ-Journalisten' jedoch für immer neue Diskussionen und Fragen auch seitens der Wirtschaftsprüfer und sind damit selbst verantwortlich für die Verzögerung!"
Man kann es auch ganz einfach sagen: Seit Monaten sind wichtige Fragen zwischen den Prokon-Chefs und ihren Wirtschaftsprüfern ungeklärt. Und das ist nicht der einzige Konflikt, den Prokon mit den eigenen Wirtschaftsprüfern hat.
Auch in einem anderen Fall geht es um ein wichtiges Papier: die Konzerneröffnungsbilanz. Prokon und die Wirtschaftsprüfer sind offenbar auch bei dieser Bilanz in einer der zentralen Fragen uneins. Es geht darum, ob und in welcher Höhe sogenannte "stille Reserven" in die Konzerneröffnungsbilanz einfließen dürfen. "Stille Reserven" entstehen zum Beispiel beim Verkauf von Windkraftanlagen, wenn der Erlös größer ist als der Wert der Maschinen in den Büchern, sagen Bilanzexperten. Die Reserven liegen in der Zukunft und stehen deshalb nicht in Jahresabschlüssen. In der Eröffnungsbilanz aber schon, glaubt Prokon, die sei nämlich eine Ausnahme. Die Wirtschaftsprüfer sehen das offenbar anders. Auch daran soll die Presse schuld sein.
Die Berechnung der "stillen Reserven" sei mit den Wirtschaftsprüfern abgestimmt gewesen, schreibt Prokon. "Leider gab es dann wieder einmal eine Welle von Vorwürfen eines angeblichen Schneeballsystems in der Presse einschließlich bedrängender Nachfragen seitens der Journalisten bei den Wirtschaftsprüfern." Das habe dazu geführt, "dass die Wirtschaftsprüfer sich selbst nicht mehr trauten, hinter den abgestimmten Berechnungen zu stehen". Sie hätten eine zweite Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hinzugezogen, die sei zu etwas anderen Ergebnissen gekommen. Prokon hat sich nach eigener Aussage deshalb entschieden, die "stillen Reserven" für die Eröffnungsbilanz nun doch mit null zu bewerten. Begründung: "Keiner der Wirtschaftsprüfer wollte in irgendeiner Form haftbar gemacht werden können, man zog sich auf viele vermeintliche Risiken zurück", schreibt Prokon, "zum Beispiel die Möglichkeit, die Projekte überhaupt nicht am Markt verkaufen zu können, oder ein deutlich geringeres Windangebot". Man weise die "stillen Reserven" aber den Anlegern "selbstverständlich" im Geschäftsbericht und im Internet nach. Bleibt eigentlich nur noch die Frage, wann die Eröffnungsbilanz endlich vorliegt, wenn dieser wichtige Punkt nun geklärt ist.
Die Anleger brauchen also viel Vertrauen in die – vorsichtig formuliert – sprunghaften Bilanzierungsmethoden. Ganz besonders gilt das für diejenigen, die den kürzlich eingeführten Genussrechtstyp B wählen. Dessen Laufzeit liegt bei fünf bis zehn Jahren. Bei diesem Investment werden die Zinsen nicht ausgeschüttet, sondern sofort wieder angelegt. Dieses Modell könnte Prokon helfen, kurzfristige Zinslasten zu senken und den Schuldendienst in eine fernere Zukunft zu schieben. Fragen danach beantwortete Prokon nicht.
Die Firma hat im September in Aussicht gestellt, dass sich ganz bald noch etwas tun könnte, jenseits der Zahlen, draußen auf dem Acker. Seit Mitte 2011 hat Prokon in Deutschland keinen neuen Windpark mehr ans Netz gebracht, obwohl das eigentlich das Hauptgeschäft sein soll. Im September kündigte der Konzern an, dass bis Ende 2013 vier Windparks in Betrieb genommen werden sollen. Die Parks Ausbüttel, Bergholz-Rossow, Lindendorf und Ferchland mit insgesamt 15 neuen Windrädern wären ein echtes Signal an die Anleger.
Seit Mittwoch steht fest: Es handelt sich wieder um ein Beispiel, wie Prokon große Ankündigungen schnell revidiert. Nun ist auf der Webseite nur noch von drei Parks und neun Anlagen bis Ende 2013 die Rede. Ob es dabei bleibt, ist offen. Das Wunderwindrad P3000 wird ohnehin noch nicht zum Einsatz kommen. Denn trotz Aufbau und feierlicher Einweihung Ende August fehlt drei Monate später auf der Prokon-Webseite noch immer die wichtigste Nachricht: dass das erste P3000 wirklich ans Netz angeschlossen wurde und nun Strom liefert.
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