Windkraft: Drohende Prokon-Insolvenz – so ernst ist die Lage
Die Botschaft des Itzehoer Windkrafterzeugers Prokon hätte deutlicher nicht sein können: Wenn die Anleger weiterhin ihr Geld aus dem Unternehmen abziehen, droht in wenigen Tagen die Insolvenz. Die "Welt" hat deshalb anhand der vorhandenen vorläufigen Bilanz- und Firmendaten analysiert, wie es um Prokon derzeit steht.
Prokon ist seit 18 Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien tätig. Das Unternehmen plant, baut und betreibt Windparks. Derzeit drehen sich laut Firmenangaben 314 Windräder mit 526,2 Megawatt Leistung.
Das Unternehmen hat mit dem P3000 ein eigenes Windradmodell entwickelt, das in Serie gehen sollte. Außerdem gehört Prokon eine Ölmühle bei Magdeburg.
In Sachsen ist das Unternehmen mit einem 150-Millionen-Euro-Kredit an der HIT Holzindustrie Torgau beteiligt. Darüber hinaus hat Prokon gemeinsam mit HIT mehrere tausend Hektar Wald in Rumänien gekauft. Über Probleme in den verschiedenen Geschäftsfeldern und fehlende Transparenz hatte die "Welt am Sonntag" und der Investigativ-Blog der "Welt" mehrfach berichtet.
Um seine Geschäfte zu finanzieren, hat Prokon-Gründer und -Chef Carsten Rodbertus eine besondere Anlageart gewählt, die der sogenannten Genussrechte. Sie funktionieren so, dass Anleger Prokon Geld geben und dafür am Firmengewinn beteiligt werden, wenn es denn einen gibt. Genussrechte gehören zum schwach regulierten grauen Kapitalmarkt.
Anleger gehen relativ hohe Risiken ein, denn – wenn es dem Unternehmen schlecht geht – können sie ihr Kapital verlieren. Im Falle einer Insolvenz werden ihre Ansprüche erst nach denen anderer Gläubiger bedient. Banken, Mitarbeiter, Lieferanten sind vor ihnen dran. Anders als Aktionäre haben sie auch kein Mitspracherecht im Unternehmen. Trotz dieser Risiken ist es Prokon gelungen, mit hohen Zinsversprechen 75.000 Anleger zu gewinnen und knapp 1,4 Milliarden Euro einzusammeln. Prokon hat zwischen sechs und acht Prozent Zinsen angeboten. Verglichen mit den aktuellen Zinsen auf Sparbüchern oder Festgeld, klang das nach einem attraktiven Angebot.
Der Anleger konnte zugleich das Gefühl haben, für die Umwelt etwas Gutes zu tun. Prokon gab auch viel Geld für Werbung aus. Im Fernsehen zur besten Sendezeit, im Öffentlichen Nahverkehr und per Wurfpost pries Firmenchef Rodbertus die Vorzüge seines Unternehmens. Die vielen tausend Postsendungen wurden auf dem ehemaligen Militärflugplatz "Hungriger Wolf" hergestellt.
Der aggressive Vertrieb überzeugte viele Anleger. Außerdem fuhren die Prokon-Werber, häufig auch Rodbertus selbst, durchs Land und veranstalteten Shows in Hotelsälen. Vor einem Jahr kamen beispielsweise in Berlin rund 300 Zuhörer, Familienväter, Mütter, Tanten, Onkel und Großeltern in ein Nobelhotel.
Der Werber erzählte die Geschichte das Idealisten Rodbertus, der wegen der Katastrophe von Tschernobyl ins Windkraftgeschäft eingestiegen sei und dem Fukushima recht gegeben habe. Es ist die Geschichte eines erfolgreichen Unternehmers, der anders sein will als andere. Vielen Anlegern gefällt so etwas.
Der durchschnittliche Anleger hat bei Prokon 15.000 bis 20.000 Euro investiert. Darunter ist zum Beispiel auch Erspartes von Senioren. Einige Anwälte berichten auch von Anlegern, die bis zu 300.000 Euro bei Prokon investiert haben.
Dabei gilt es zwei unterschiedliche Genussrechtstypen zu unterscheiden. Der Typ A ist kurzfristig kündbar, der Typ B hat eine längere Anlagedauer von fünf bis zehn Jahren. Der überwiegende Teil des Anlagekapitals zählt zum Typ A und ist kurzfristig, mit einer Vier-Wochenfrist zum Monatsende, kündbar.
Genau das wird für Prokon nun zum Problem. Denn das Risiko, dass eine größere Zahl Anleger zeitgleich ihre Einlage zurück haben möchte, besteht schon länger. Das fiel aber nicht auf, denn bislang wuchs das Anlagevolumen. Dieser Trend hat sich gedreht. Grund dafür dürften die katastrophalen Nachrichten über die Bilanzzahlen sein. Nun sind viele Anleger verunsichert und wollen ihr Geld wieder.
Warnungen, dass Prokon weniger Geld verdiene, als es an Zinsen ausschüttete, hatte es schon länger gegeben. Rodbertus wischte sie beiseite und verwies auf Stille Reserven und die Sachanlagen, die sich aber bekanntlich oft nicht schnell zu Geld machen lassen.
Und die Frage ist auch, wie realistisch die Wertansätze sind. Da lag aber einiges im Argen: Prokon hatte sich offenbar mit seinen Wirtschaftsprüfern nicht über den Jahresabschluss 2012 einigen können. Die Veröffentlichung der so wichtigen Unternehmenskennzahlen verzögerte sich mehrfach.
Als Prokon dann im Dezember vorläufige Zahlen ins Internet stellte, waren die Anleger geschockt. Demnach hatte die Unternehmensgruppe allein 2012 rund 171 Millionen Euro Verlust gemacht bei einem Umsatz von gerade mal 410 Millionen Euro.
Es folgten kritische Presseberichte und Sturmwarnungen von Anlegerschützern. Prokon hielt dagegen, veröffentlichte eine "Zukunftsprognose", die deutlich machen sollte, dass Verzinsung und Rückzahlung des Genussrechtskapitals langfristig gesichert seien.
Darin war allerdings auch zu lesen, dass das Management erst ab 2016 wieder mit Gewinn rechnet. Für 2013 waren in der Prognose Verluste von 74 Millionen Euro eingetragen.
Diese schlechten Nachrichten waren zu viel für viele Anleger. Sie fingen an, sich zu organisieren. Eine Welle von Kündigungen setzte ein. Prokon schreibt auf seiner Webseite seit Freitagabend, dass inzwischen Genussrechtskapital in Höhe von 150 Millionen Euro zurückgefordert werde.
Das sind mehr als zehn Prozent das gesamten Anlagevolumens und übersteigt voraussichtlich deutlich die liquiden Mittel des Unternehmens. Verschärfend kommt hinzu, dass Ende Januar die Zinszahlung für das zweite Halbjahr 2013 fällig wird. Das wären noch einmal 40 Millionen Euro – grob geschätzt.
Prokon appelliert deshalb an seine Anleger, ihre Kündigungen rückgängig zu machen und mehr Zeit für die Rückzahlung einzuräumen. Rodbertus bittet auch darum, die nun fälligen Zinsen im Unternehmen zu belassen und als neue Genussrechte zu reinvestieren. Laut Prokon-Webseite gelang es ihm bislang auf diesem Weg, rund acht Millionen Euro zu halten, die schon gekündigt waren. Das dürfte jedoch bei weitem nicht reichen.
Prokon ruft nun seine Anleger auf, ein Online-Formular auszufüllen und damit eine Entscheidung über die eigenen Genussrechte zu signalisieren. Es wirkt fast wie ein Showdown: Macht mit oder macht das Licht aus. Anleger können auch ankreuzen, dass sie ihr Geld trotz allem zurück jetzt haben wollen.
Neben den Kästchen steht: "Ich werde meine Genussrechte zeitnah kündigen. Eine Insolvenz von Prokon nehme ich bewusst in Kauf." Prokon fügt noch hinzu: Eine Planinsolvenz würde 20 Millionen Euro kosten, die dann für die Anlegern verloren seien. Warum nur diese 20 Millionen, das ist nicht nachvollziehbar.
Und der Anleger solle zur Kenntnis nehmen, "dass ich mit der Entscheidung für eine Planinsolvenz entscheidend zur Vernichtung eines zukunftsfähigen und nicht systemkonformen Unternehmens mit über 1.300 Arbeitsplätzen beitrage".
Die Frage ist, ob Prokon die Anleger mit dem drastischen Schritt noch umstimmen kann, und ob die Betroffenen weiterhin Firmenchef Carsten Rodbertus vertrauen. Der hat die Situation in der Vergangenheit allzu oft beschönigt, und sein Zahlenwerk war nie nachvollziehbar und transparent. Statt für Klarheit zu sorgen, hat er zuletzt sehr oft andere für die Probleme in seiner Firma verantwortlich gemacht, darunter die Banken, die Energiekonzerne, die Medien.
Noch vor wenigen Tagen verschickte er Schreiben, in denen es hieß: "Die jüngste Medienkampagne, die von alten Bekannten wie der Welt und Finanztest angeführt wird, will wieder einmal weismachen, Prokon würde ein Schneeballsystem betreiben oder gar kurz vor der Insolvenz stehen. Das ist definitiv nicht so!" Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis der Wahrheitsgehalt dieser Rodbertus-Aussage für alle Welt überprüfbar ist.
There has been error in communication with Booktype server. Not sure right now where is the problem.
You should refresh this page.